Willst du meine Liebe nicht
…” Sie begann, leise mitzusingen.
“Schön, dass du dich nach all der Zeit noch an die Worte erinnerst”, sagte er, als der letzte Ton verklungen war.
“Ich erinnere mich an alles. Ich habe versucht zu vergessen, aber … Du hattest Recht, mitunter hat man darauf keinen Einfluss.” Plötzlich brach sie in Tränen aus.
“Julie”, rief er entsetzt.
“Wir waren Kinder”, schluchzte sie. “Wir dachten, die Welt würde uns gehören, weil wir uns liebten.”
“Wir hatten unsere eigene Welt”, flüsterte er an ihrem Haar.
“Ja, und wir haben uns vorgemacht, es sei die echte Welt.
Aber sie war es nicht. Es durfte nicht sein.”
“Nicht weinen”, bat er. “Sieh mich an.”
Sie gehorchte und spürte gleich darauf seine Lippen auf ihren. Es war ein unbeschreiblich zärtlicher Kuss, und sie schmolz dahin. Ihre schwer erworbene Vorsicht hatte keine Chance gegen die Emotionen, die sich in ihr aufgestaut hatten -
für Rico.
Sein Mund war genau so, wie sie ihn in Erinnerung gehabt hatte: warm, sinnlich und betörend. Und er gehörte ihr. Am ersten Abend hatte er sie rücksichtslos geküsst, doch nun schien er wundersamerweise nicht mehr daran interessiert, ihr seine Macht zu beweisen. Rico küsste sie wie ein Junge, atemlos und behutsam. Sie erwiderte seine Liebkosungen hingebungsvoll und genoss seine Reaktion, als er die Arme fester um sie schloss und schneller atmete.
“Mia piccina”, raunte er. “Weißt du noch, wann ich dich so genannt habe?”
“Ich erinnere mich an alles”, versicherte sie nachdrücklich.
“Ich ebenfalls. Sosehr ich mich auch bemüht habe, ich konnte dich nicht aus meinen Gedanken verbannen.”
Erneut presste er die Lippen auf ihren Mund. Diesmal war jedoch alle Unsicherheit verflogen, und er war wieder der leidenschaftliche Liebhaber, der für sich beanspruchte, was er eigentlich nie wirklich verloren hatte.
“Lass mich heute Nacht bei dir bleiben”, flüsterte er rau.
“Bitte.”
“Rico…”
“Wir waren zu lange getrennt, mio amore. Fühlst du es nicht auch?”
“Ich wollte nie von dir getrennt sein und habe in den vergangenen acht Jahren ständig an dich gedacht.”
Er nahm ihre Hand. “Komm mit mir. Die Zeit der Trennung ist vorbei, und die Liebe kann neu beginnen.”
6. KAPITEL
Rico führte Julie zum Trevibrunnen zurück. “An der Ecke ist ein Halteplatz für Kutschen”, sagte er. “Wir können mit einer zum Hotel fahren. Was ist?” fügte er hinzu, als sie ihre Hand befreite.
“Während du eine carrozza holst, muss ich noch etwas erledigen”, erwiderte sie.
Glücklich sah sie ihm hinterher. Was sie erhofft hatte, war eingetreten. Ricos Herz hatte sich ihr vertrauensvoll geöffnet.
Sie konnte ihm alles über ihren gemeinsamen Sohn erzählen und den Jungen zu ihm bringen. Bei dem Gedanken daran, was sich aus dieser Begegnung ergeben könnte, stockte ihr der Atem.
Es war trotzdem ein Risiko. Vielleicht war er wütend, weil sie Gary vor ihm versteckt hatte. Aber als Preis winkte eine glückliche Zukunft für sie drei - eine berauschende Vorstellung.
Julie beschloss, dem Schicksal ein wenig nachzuhelfen.
Sie kehrte zum Fontana di Trevi zurück. Dort nahm sie eine Münze aus der Börse, küsste sie und warf sie über die Schulter, während sie sich von ganzem Herzen wünschte, Rico möge erfreut auf ihr Geständnis reagieren.
Und dann passierte etwas Sonderbares. Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie sich einem Mann gegenüber, dessen Gesicht ihr bekannt vorkam. Er wandte sich so schnell ab, dass sie erschrak. Man hätte fast meinen können, er habe sie beobachtet und wolle nicht entdeckt werden.
Sie schaute sich um und bemerkte noch zwei weitere vertraute Gesichter unter den Passanten. Auch diese Männer wichen rasch in den Schatten zurück.
O nein, dachte sie, das bilde ich mir nur ein. Das würde Rico niemals tun. Trotzdem durchrann sie ein Schauer, als ihr die furchtbare Wahrheit dämmerte. Sie hatte diese Männer im La Dolce Notte gesehen. Sie alle arbeiteten für Rico.
Während sie in seinen Armen dahingeschmolzen war, hatte er sie von seinen Leuten beobachten lassen. Sie hatten sie ausspioniert wie einen Feind, denn sie war für ihn nichts anderes.
Nichts an dieser Nacht war echt gewesen. Der bis zu diesem Moment so wundervolle Abend war sorgfältig inszeniert worden. Rico hatte sie eingelullt. Mit zärtlichen Blicken, einem romantischen Menü und einem sinnlichen Unterton in seiner Stimme hatte er die Vergangenheit
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