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Willy Brandt: Ein Leben, ein Jahrhundert (German Edition)

Willy Brandt: Ein Leben, ein Jahrhundert (German Edition)

Titel: Willy Brandt: Ein Leben, ein Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Joachim Noack
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spielt, tritt mit zunehmendem Nachdruck der Chef der SPD. Er profitiert paradoxerweise gerade davon, dass die «Elefantenhochzeit» der beiden Volksparteien dem Land zwar unbestreitbare Erfolge beschert, in sozialdemokratischen Kreisen jedoch als Verrat an den eigenen Prinzipien empfunden wird.
    Mit dem Hinweis, er müsse «den Laden zusammenhalten», sträubt sich der Vorsitzende nun ein um das andere Mal gegen Koalitionskompromisse, die für seinen Geschmack zu deutlich die Handschrift des bürgerlichen Partners tragen, und beginnt damit, seine «Troika» zu strapazieren. «Bis Mitte der sechziger Jahre», wird sich noch sehr viel später der dritte Mann im Bunde, Helmut Schmidt, entrüsten, sei er «für Willy durchs Feuer gegangen», aber das habe sich dann erledigt.
    Seinem Ärger über die Wendigkeit des Kollegen, sich bei «linken Spinnern» lieb Kind zu machen, während er sich nach Kräften krummlegen muss, um dem Bündnis in der Fraktion die nötigen Mehrheiten zu sichern, lässt der unerschrockene Hanseat schon damals freien Lauf, und so kommt es über ein Reizthema besonderer Art in der Führungsspitze der SPD schließlich zum Zerwürfnis. Die seit längerem geplante Verabschiedung der Notstandsgesetze, ein Regelwerk, das im Verteidigungs-, Spannungs- und Katastrophenfall die immer noch gültigen alliierten Vorbehaltsrechte ablösen soll, wird von den meisten sozialdemokratischen Volksvertretern unterstützt, ist in der Partei und beim einflussreichen Deutschen Gewerkschaftsbund aber höchst umstritten. Darüber hinaus beflügelt der Konflikt die Aktivitäten der sogenannten Außerparlamentarischen Opposition (APO), die als Antwort auf die in Bonn herrschenden Machtverhältnisse und nach dem Muster der bereits seit einiger Zeit rumorenden Studenten heftigen Widerstand organisiert.
    Die Bundesrepublik verändert sich. Junge Leute mit auffällig langen Haaren finden sich zu bis dahin unbekannten Protestformen zusammen, die sich «Sit-ins» oder «Go-ins» nennen, und erobern seit Beginn der US-Intervention in Vietnam von den Universitäten aus zusehends die Straße. Ein zu allem entschlossener radikaler Kern wird schon bald darauf die Keimzelle der «Rote-Armee-Fraktion» (RAF) bilden, die das Land über Jahre hinweg mit mörderischen Attentaten in Atem hält. Zu den Störenfrieden – wenngleich nie gewaltbereit – gehört auch Peter Brandt, der älteste Sohn des Außenministers, der seines bevorstehenden Abiturs wegen beim Umzug der Familie nach Bonn im besonders unruhigen Berlin zurückgeblieben ist.
    Dort erschießt der Polizist Karl-Heinz Kurras im Juni 1967 am Rande einer Demonstration den Studenten Benno Ohnesorg und setzt damit eine Wutwelle in Bewegung, die nicht nur die staatlichen Institutionen in ihren Grundfesten erschüttert. Ein in immer kürzeren Abständen randalierender Linksradikalismus macht vor allem der SPD zu schaffen, in der sich das «Establishment» einer von ihrem Jugendverband propagierten «Doppelstrategie» zu erwehren hat. Die Jusos wollen ihr Ziel, «antikapitalistische Strukturreformen» durchzupauken, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Partei verfolgen – ein Affront, den etwa Helmut Schmidt von einem «höchstinstanzlichen Urteil» unterbunden wissen möchte, und der Vorsitzende erklärt sich dazu auch bereit.
    Auf einem der turbulentesten Kongresse in der Geschichte der SPD, der im März 1968 in Nürnberg stattfindet, distanziert sich Brandt in aller Schärfe von dem revoltierenden «Pöbel», und selbst sein Bedauern über das Attentat auf den Studentenführer Rudi Dutschke verbindet er im April mit einer deutlichen Abfuhr an die Adresse der APO. Für eine «Horde», die in ihrer Rückwärtsgewandtheit «besser unter dem Kürzel OPA» firmiere, sei in seiner Organisation kein Platz. Dem über die zunehmenden Exzesse entsetzten Fraktionschef aber genügt diese Distanzierung nicht. Wütend bezichtigt er den Kollegen der «Feigheit vor Freunden», ein Vorwurf, der die eh schon schwierige Beziehung zwischen den beiden künftigen Kanzlern ein Leben lang belasten wird, zumal er in diesem berühmt-berüchtigten Jahr «Achtundsechzig» offenkundig verfehlt ist.
    Denn mit der von Schmidt behaupteten heimlichen Kumpanei hat der ehemalige Widerstandskämpfer weder damals noch vorher etwas im Sinn. Bereits Anfang 1966 nennt er als Regierender Bürgermeister die erste große Demonstration gegen den Vietnamkrieg in seiner Stadt voller Wut eine «Schande für Berlin», und bei

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