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Willy Brandt: Ein Leben, ein Jahrhundert (German Edition)

Willy Brandt: Ein Leben, ein Jahrhundert (German Edition)

Titel: Willy Brandt: Ein Leben, ein Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Joachim Noack
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diplomatischer Beziehungen erst geredet werden, wenn die Bundesrepublik vorher die DDR anerkenne.
    So erweist sich der Anfangserfolg als Pyrrhussieg – und schlimmer: In allen Bereichen, in denen sich die deutsch-deutsche Malaise spiegelt und die der pragmatische Bonner Minister nicht mehr ausschließlich den Weltmächten überlassen möchte, tobt statt des erwarteten Tauwetters bald wieder der Kalte Krieg. Die Bundesregierung, erregt sich der sowjetische Staats- und Parteichef Leonid Breschnew, halte «in ihrer ausgestreckten Hand einen großen Stein versteckt», und der in seiner Mission keineswegs unangefochtene sozialdemokratische Entspannungspolitiker fragt sich in jenen ersten Monaten des schwarz-roten Bündnisses selbstkritisch, ob er nicht «zu schnell zu viel» gewollt habe.
    Hat die Aktion allein schon deshalb ins Leere laufen müssen, weil sie «an Moskau vorbei» geplant worden war, wie ihm danach in manchen heimischen Medien angekreidet wird? So entschieden Brandt in seinen «Begegnungen und Einsichten» diesen Aspekt verwirft, so bereitwillig setzt er sich mit einem anderen Makel auseinander: «Richtig ist hingegen», schreibt er in der Rückschau, «dass wir den Einfluss der DDR unterschätzten, als wir uns noch weigerten, sie als gleichberechtigten Staat zu behandeln.»
    Ein Eingeständnis der Halbherzigkeit, zu dem er sich freilich erst als Exkanzler in der Lage sieht.

    Der Außenminister des Jahres 1967 ist noch nicht so weit, und natürlich liegt das auch an den Umständen. Auf der Dringlichkeitsskala der Koalition steht das Krisenmanagement in der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik obenan, was zwangsläufig dazu führt, dass sich in der öffentlichen Wahrnehmung eher die dafür zuständigen Ressortchefs profilieren als das Duo an der Spitze. Insbesondere der rhetorisch brillante Ökonomie-Professor Karl Schiller und der ebenso wortgewaltige oberste Kassenwart, Franz Josef Strauß – zwei begnadete Selbstdarsteller, die in ihrem erstaunlichen Einvernehmen von der Presse bald vergnüglich-respektlos «Plisch und Plum» genannt werden – beherrschen immer öfter die Schlagzeilen.
    Ihrem Zusammenspiel wie der bemerkenswerten Kooperation der Fraktionsvorsitzenden Barzel und Schmidt ist es im Wesentlichen zu danken, dass die Flaute der kurzen Ära Erhard bald als überwunden gelten kann und die Bonner Republik wieder erstarkt. Binnen kurzem sinkt die Zahl der Arbeitslosen von siebenhunderttausend auf eine knappe Viertelmillion, während vor allem im Rechts- und Justizwesen gleichfalls beachtliche Reformansätze zu verzeichnen sind: Unter der Federführung Gustav Heinemanns, dem später ersten sozialdemokratischen Bundespräsidenten, mildert das Bündnis die bis dahin rigiden Staatsschutzbestimmungen deutlich ab.
    Der stellvertretende Regierungschef hält sich dabei auffällig zurück. Für Eingeweihte ist das Kabinett «Kiesinger/Brandt» eher ein Kabinett «Kiesinger/Wehner» – die in mancherlei Hinsicht seltsam innige Liaison zwischen dem schwäbischen Feingeist und dem sächsischen Machtmenschen, der sich offiziell mit dem Titel eines «Ministers für gesamtdeutsche Fragen» begnügt, beim sozialdemokratischen Juniorpartner in Wirklichkeit aber die Marschrichtung bestimmt. Sooft es ihnen nötig erscheint, hocken die beiden höchst ungleichen Männer bis tief in die Nacht hinein über einigen Gläsern Rotwein und zeichnen beschwingt die Grundlinien ihres Gemeinschaftsprojekts vor.
    Da verwundert es kaum, wenn sich der Vizekanzler über dieses Tête-à-Tête mokiert. Vom Regierungschef, den die Medien seiner geschliffenen staatsphilosophischen Monologe wegen «König Silberzunge» taufen, ist er so genervt, dass er sich in seiner Nähe «auch physisch unwohl» fühlt, und für seinen Parteifreund Wehner empfindet er bald eine ähnliche Antipathie. Wann immer der mit Kiesinger kungele, beschwert sich der Vorsitzende bei Vertrauten, würden sämtliche Genossen «erst einmal zu Arschlöchern erklärt»; eine vermutlich nur leicht überzogene Klage. Sie verrät die wachsende Verbitterung darüber, dass er sich zumindest in der Frühphase des schwarz-roten Schulterschlusses aus dem Zentrum der Macht gedrängt sieht.
    «Wehner führte, Brandt wurde geführt», beschreibt sein Intimus Egon Bahr die Situation – aber dann verschieben sich die Gewichte. Neben den rührigen Außenminister, der in aller Welt seinen Einfluss mehrt, im Innenverhältnis des Bonner Pakts indessen eine untergeordnete Rolle

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