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Wilsberg 03 - Gottesgemuese

Wilsberg 03 - Gottesgemuese

Titel: Wilsberg 03 - Gottesgemuese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Kehrer
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heißt er nur ›Unser Ross‹. Er wird verehrt wie ein Gott.«
    Ich drehte mich um. »Gibt es so etwas wie eine Lehre der KAP? Oder ist das ›Geistige Training‹ die einzige Botschaft?«
    Sie stieß Luft durch die Nase. »Als Stocker und seine Jünger die KAP gründeten, haben sie sich auch ein paar Glaubensgrundsätze überlegt. Aber die sind ziemlich vage. Am Anfang bezeichnete sich die KAP als christliche Kirche, neuerdings heißt es in den Publikationen, man stünde dem Buddhismus nahe. Einen Gottglauben gibt es jedenfalls nicht. Der oberste Grundsatz lautet: ›Es gibt keinen Gott außer dem, der in dir selber wohnt.‹
    Tatsächlich ist der da der Gott.« Sie nickte zu dem Bild hinüber. »Was Stocker gesagt hat, ist die absolute Wahrheit. Wenn ein Mitglied an den Worten Stockers zweifelt, fällt es in Ungnade.«
    »Wie kann man einem solchen Typen vertrauen?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Das dürfen Sie mich nicht fragen. Ich habe es nie getan.«
    Sie ging zu einem Regal und zog nach kurzem Suchen ein Buch heraus. »Wenn Sie mehr wissen wollen, sollten Sie das hier lesen! Es ist Stockers grundlegendes Werk. In der KAP heißt es Buch Eins. «
    Ich nahm das Buch in die Hand. Der Einband zeigte eine Flutwelle. Der Titel lautete: »›Geistiges Training‹. Die Wissenschaft der angewandten Philosophie.« Es hatte fünfhundert eng bedruckte Seiten. Ich wusste schon, dass ich es nicht lesen würde.
    Ich legte das Buch auf den Schreibtisch. »Darf ich mich hier ein wenig umsehen?«
    »Selbstverständlich. Ich warte unten auf Sie.«
    Als sie gegangen war, nahm ich mir den Schreibtisch vor. Er enthielt eine Menge Universitätskram. In der untersten Schublade entdeckte ich einen Brief der Kirche für angewandte Philosophie. Er war kurz und knapp: »Wir beglückwünschen Sie zu Ihrem Entschluss, den Geistwesen-Klasse-I-Kurs zu machen. Bitte überweisen Sie bis zum 15. Dezember 5000,– DM auf das untenstehende Konto!« Was musste da erst Geistwesen Klasse XII kosten? Wahrscheinlich war es nur Millionären beschieden, sich außerhalb ihres Körpers zu bewegen.
    Der Schreibtisch brachte keine neuen Erkenntnisse, und ich ging zu den Regalen über. Drei Fächer waren der KAP gewidmet. Neben Büchern von Stocker fanden sich Materialien für Trainingskurse und jede Menge Hochglanzbroschüren, in denen lachende Menschen berichteten, wie großartig das ›Geistige Training‹ sei. Auf der Rückseite der Broschüren stand immer dieselbe Adresse: »KAP-Zentrum Essen. Karlstraße 15.«
    Mit dem Stocker-Buch und einer Broschüre stieg ich zum Wohnzimmer hinab. Anja Kunstmann saß im Sessel und rauchte.
    »Haben Sie etwas gefunden?«
    »Nichts von Bedeutung. Mir ist aufgefallen, dass in allen Broschüren eine Adresse in Essen abgedruckt ist.«
    »Das ist das nächste KAP-Zentrum. Mein Mann hat dort sein Training absolviert.«
    »Könnte es sein, dass man in Essen etwas über ihn weiß?«
    »Schon möglich. Aber die sagen mir nichts. Ich bin als Feind der Kirche eingestuft worden.«
    »Gut. Dann werde ich morgen mal da anfangen. Sie hören von mir.«
    Sie stand auf und blieb vor mir stehen. Die ganze Zeit über hatte sie vermieden, mich anzusehen. Jetzt tat sie es. Sie flüsterte fast: »Ich habe Angst.«
    Vorsichtig legte ich eine Hand auf ihre Schulter. »Ich kann Ihnen nichts versprechen. Aber ich werde versuchen, Ihren Mann zu finden.«
    Ohne Vorwarnung lehnte sie sich gegen meinen Oberkörper. Sie roch nach Parfüm und Frau.
    »Ach, übrigens«, sagte sie an der Tür, »hier ist ein Foto meines Mannes. Das werden Sie doch sicher brauchen.«
    Auf dem Weg zum Auto betrachtete ich das Foto. Martin Kunstmann sah aus wie John F. Kennedy mit Brille.
    Die Rückfahrt schaffte ich in einer Stunde. Ich fuhr direkt nach Hause. Während ich krümeliges, drei Tage altes Vollkornbrot mit den Resten aus dem Kühlschrank belegte, hörte ich den Anrufbeantworter ab. Der erste Anrufer war Thomas, der mich zu einem Glas Bier einlud. Die zweite war Elke, die mich wüst beschimpfte.

III
    Die Karlstraße lag im Essener Stadtteil Borbeck, mitten in der neu geschaffenen Fußgängerzone, die mit einer italienischen Piazza so viel Ähnlichkeit hat wie ein Espresso mit einer Tasse Muckefuck. Sie begann in der Weite des Raumes zwischen einem Kaufhaus und der Post, unmittelbar hinter einem Betonblumenkübel, der aus verständlichen Gründen leer war.
    Ich klappte den Stadtplan zusammen und stapfte über den aschebesprenkelten Schnee, dessen

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