Wilsberg 03 - Gottesgemuese
Leute auf der Straße an. Nach und nach entfremdete er sich von mir und den Kindern. Er machte seine Arbeit, weil er das Geld für die Trainings verdienen musste, aber er verlor jeglichen Ehrgeiz. Sein Ziel war, den Zustand der ›Freiheit‹ zu erreichen. Ich beschwor ihn, damit aufzuhören. Er lachte mich aus. ›Du weißt nichts‹, sagte er. ›Du bist nicht besser als das Gemüse im Garten.‹ Wir konnten nicht mehr miteinander reden. Ich nehme an, dass ihm die Kirche empfohlen hat, mich zu ignorieren. Die Kirche betrachtet Familienangehörige, die ihr skeptisch gegenüberstehen, als Feinde.«
Sie saugte heftig an der zweiten Zigarette. Ihre Augen waren etwas feucht geworden.
»Ich habe ihm angeboten, uns scheiden zu lassen. Er lehnte ab. Mir blieb nichts anderes übrig, als so weiterzumachen wie bisher. Womit hätte ich den Lebensunterhalt für die Kinder und mich verdienen sollen? Ich habe meinen Beruf nie ausgeübt. Finanziell war ich immer abhängig von meinem Mann.«
Ich unterdrückte den Impuls, ihre Hand zu nehmen und sie eine Zeit lang festzuhalten. »Was soll ich tun?«
»Holen Sie ihn da raus! Ich bin sicher, dass er alles aufgegeben hat und nur noch für die Kirche leben will.«
»Haben Sie eine Ahnung, wo er sich im Moment aufhält?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Vielleicht ist er noch in Großbritannien. Oder in einem Zentrum der KAP in Deutschland.«
Ich lehnte mich zurück und nuckelte an meiner Pfeife. »Ich brauche mehr Informationen über die Kirche für angewandte Philosophie und ein Bild Ihres Mannes.«
Der Glanz in ihren Augen hätte den härtesten Privatdetektiv weichgemacht. »Sie nehmen den Auftrag an?«
»Eigentlich bin ich ja auf Wirtschaftskriminalität spezialisiert. Aber in Ihrem Fall mache ich vielleicht eine Ausnahme.«
Sie beugte sich über ihre Handtasche und zog ein Scheckheft heraus. »Am Geld soll es nicht liegen. Noch habe ich genug davon.«
Abwehrend hob ich die Hände. »Nicht so schnell, Frau Kunstmann. Geben Sie mir ein paar Stunden Bedenkzeit! Sie sind nicht die einzige Auftraggeberin unserer Detektei. Ich muss das mit meinen Mitarbeitern abstimmen.«
Das stimmte nur zur Hälfte, aber sie sollte nicht den Eindruck gewinnen, dass ich auf sie gewartet hatte.
Enttäuschung machte sich auf ihrem Gesicht breit, und schnell setzte ich hinzu: »Geben Sie mir Ihre Telefonnummer! Sobald ich das Organisatorische geregelt habe, setze ich mich mit Ihnen in Verbindung.«
»Wann wird das sein?«
»Vielleicht schon heute Nachmittag.«
Wir standen auf und gingen zur Tür. Mitten im Raum blieb sie plötzlich stehen und sagte: »Ich freue mich darauf, von Ihnen zu hören.«
Eine Sekunde lang machte sie mich sprachlos.
»Was liegt diese Woche noch an?«, fragte ich Sigi, als Anja Kunstmann entschwunden war.
Sigi blitzte mich an. »Will der große Detektiv den Fall selbst übernehmen?«
»Koslowski oder Eger eignen sich jedenfalls nicht dafür.«
»Erzähl!«, forderte Sigi.
Ich gab ihr eine Kurzfassung des Gespräches. Sigi wiegte zweifelnd den Kopf.
»Die KAP ist ziemlich gefährlich. In der letzten Zeit stand einiges in den Zeitungen. Die betreiben mit ihren Mitgliedern so eine Art Gehirnwäsche. Da jemanden rauszuholen, dürfte so gut wie unmöglich sein.«
»Es kommt auf den Versuch an.«
»Du meinst, bei der Klientin?«
»Sigi, ich glaube, du siehst mich zu eindimensional.«
»Männer sind eindimensional.«
Ich räusperte mich. »Wolltest du mir nicht sagen, welche Termine ich diese Woche habe?«
»Freitagmorgen bist du mit Dr. Gross, dem Vorstandsmitglied der Sächsischen Versicherung, verabredet. Es geht um den Juwelier, der vermutlich sich selbst beklaut hat.«
»Hat sich Koslowski inzwischen gemeldet?«
»Nein. Aber ich kann dir jetzt schon sagen, was der Juwelier heute gemacht hat: Er ist von seinem Haus zu seinem Laden gefahren, um achtzehn Uhr dreißig fährt er dann ohne jeden Umweg zurück.«
»Und nachts schläft er«, ergänzte ich. Für den Nachtdienst war Eger zuständig. Tagsüber überwachte Koslowski die Zielperson.
»Na gut. Vielleicht tut sich ja bis Freitagmorgen etwas. Was gibt es sonst noch?«
»Der Steuerberater möchte bis Freitag die Dezemberbuchführung haben.«
»Kannst du das nicht erledigen?«
»Wenn du mir die Belege gibst, die in deinem braunen Aktenkoffer sind.«
»Genau, der braune Aktenkoffer. Den habe ich gestern schon gesucht. Ich werde heute Abend noch mal bei mir zu Hause nachgucken.«
»Abgesehen von diesen
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