Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss
im Gallitzin zusammengestellt hatte. Eine Dose Cola, die ich unterwegs an einer Tankstelle erstanden hatte, und eine Radioreportage über ein sagenhaft spannendes Match zwischen Boris Becker und dem ganzkörperrasierten Andre Agassi rundeten die kleine Privatparty ab.
Die ganze Zeit über wartete ich auf blendende Einfälle. Sie kamen nicht. Stattdessen kamen Isabell, Graulocke und Schlafzimmerblick.
Plötzlich war ich wieder hellwach. Wenigstens einer meiner drei Fälle stand dicht vor seinem erfolgreichen Abschluss.
Graulocke und Schlafzimmerblick blieben in Deckung, während Isabell ins Haus ging und Yvonne herausholte. Dann kutschierte Graulocke das unkeusche Doppel zu seiner Villa in Sankt Mauritz.
Ich nahm an, dass es Graulockes Villa war, denn er schloss das Tor auf. Außerdem passten die aufgeblasenen goldfarbenen Verzierungen zu seiner schleimigen Art.
Ich musste warten, bis es dunkel wurde. Als die Sonne endlich abgetaucht war, kletterte ich über den Zaun. Die Kamera im Anschlag, näherte ich mich den Fenstern. Die vier waren so vorsichtig gewesen, die Vorhänge zuzuziehen. Ich drückte ein Ohr gegen die Thermopenscheibe. Ein wollüstiges bigeschlechtliches Kichern, das in ein schmatzendes Geräusch überging. Ich war ganz dicht dran, aber es fehlte der entscheidende Schnappschuss.
Auch auf der Rückseite hatte ich kein Glück. Überall Sichtblenden hinter den Scheiben. Eine schmale Treppe führte zur Kellertür hinunter. Verschlossen, wie nicht anders zu erwarten. Ich probierte den Trick mit der Scheckkarte, aber sie brach durch.
Auf dem Rückweg legte ich noch einmal ein Ohr an das Fenster. Das Schmatzen war in ein stoßweises Keuchen übergegangen, begleitet von gelegentlichen Ober- und Untertönen. Herr Reichardt hätte seine Frau sicher am Japsen erkannt, ich jedoch konnte nur meine Vermutungen darüber anstellen, ob das Isabell oder Yvonne war, die da auf der anderen Seite des Glases hart am Mann arbeitete.
VI
Mit dunklen Rändern unter den Augen, aber einigermaßen stolz und zufrieden präsentierte Gabi am nächsten Morgen den neuen Hauptdarsteller: Oswald Meyer. Meyer war zwar nicht so berühmt wie Becher, allerdings hatte er im Tatort oft genug den Zweiten Mann gespielt, um in der Kategorie Bekanntes Gesicht abgelegt zu werden.
Ich schüttelte Meyer die Hand. »Sehen Sie sich bloß vor! Wir haben einen hohen Verschleiß an Hauptdarstellern.«
»Ich habe davon gehört.« Er lächelte schüchtern. »Waren Sie das, der ...«
»Ja, ich habe Becher angeschossen. Unabsichtlich, natürlich.«
»Äh, haben Sie etwas dagegen, wenn ich die Pistole selber lade? Ich meine, das geht nicht gegen Sie persönlich ...«
»Kein Problem«, beruhigte ich ihn. »Ist mir sogar lieber. Dann kann ich unbesorgt abdrücken.« Er zuckte zusammen.
Zwei Stunden später hatten wir die Szene im Kasten. Es folgten noch ein paar unbedeutende Einstellungen am Seeufer und im Hotelfoyer. Dann hatte ich erst einmal Feierabend. Der Rest des Tages gehörte Meyer und Katinka Muschwitz, die sich als Liebespaar im Hotelzimmer tummeln sollten.
Gabi saß auf der Terrasse und hielt sich an einem Kaffee fest. Sie trug eine weiße Trainingshose und ein gleichfarbiges T-Shirt, auf dem fette schwarze Buchstaben die Aufforderung bildeten: FUCK YOURSELF. Sie sah aus wie eine Touristin in Palma de Mallorca nach einer stürmischen Nacht.
»Wie wäre es jetzt mit einem kleinen Schwatz?«, erkundigte ich mich.
»Ich bin todmüde«, sagte sie mit geschlossenen Augen.
Ich setzte mich zu ihr. »Vielleicht sollte ich mich klarer ausdrücken. Ich untersuche den Schuss auf Becher. Poppelhove hat mir dazu den Auftrag erteilt.«
Sie klappte die Augen auf. »Franz hat dich engagiert?«
»Ja.«
»Dann glaubt er also, dass es kein Unfall war?«
»Richtig.«
»Sieh mal an!« Sie gähnte. »Er ist gar nicht so cool, wie ich dachte.«
Ich verscheuchte den Kellner, der neben uns aufgetaucht war. »Ich brauche ein paar Hintergrundinformationen. Und dabei dachte ich an dich. Schließlich bist du die Einzige, zu der ich Vertrauen habe.«
»Okay.« Sie brachte sich in eine aufrechte Haltung. »Aber nicht hier. Solange ich in Greifweite bin, kommt mit Sicherheit alle fünf Minuten jemand angeschossen, der will, dass ich dieses oder jenes ausbügele.«
»In meine Wohnung kann ich dich leider nicht einladen«, sinnierte ich. »Da sind im Moment die Handwerker. Was hältst du von einem Spaziergang im Venner Moor?«
»Oh ja«, sagte sie vergnügt.
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