Wilsberg 08 - Das Kappenstein-Projekt
Lippen verstärkt wurde. Darin musste das Geheimnis ihres Erfolges liegen: Katja Imhoff war die perfekte Mischung aus Kindfrau, Domina und Kompetenz.
»Was kann ich für Sie tun?«
Ich musste mich zusammenreißen, um nicht von meinen Eheproblemen anzufangen. »Sie haben sicher von den Morden in Münster gehört.«
»Die beiden Grünen, die auf brutale Weise umgebracht worden sind?«
»Drei. Es sind inzwischen drei.«
»Drei?« Sie riss die Augen weit auf.
»Letzten Freitag hat es auch Dirk Holthausen erwischt.«
»Das ist ja schrecklich. Aber was habe ich damit zu tun? Und wer sind Sie überhaupt?«
»Mein Name ist Georg Wilsberg. Ich bin Privatdetektiv und arbeite für Jutta Rausch.«
»Jutta, so so.« Sie deutete auf einen Sessel. »Nehmen Sie doch Platz!«
Sie setzte sich mir gegenüber mit zusammengepressten, seitlich gekippten Beinen, so ähnlich, wie Alfred Biolek das in seiner Talkshow machte. »Wenn ich Sie richtig verstehe, versuchen Sie einen Zusammenhang zwischen der KPD/ML/O und den aktuellen, tragischen Ereignissen herzustellen.«
»Genauer gesagt, zwischen den Umständen, unter denen sich die KPD/ML/O-Gruppe Münster getrennt hat, und den aktuellen, tragischen Ereignissen.«
»Hmmm. Dietzelbach, Hennekamp, Holthausen …«
»… gehörten zu der Fraktion, die das Vermögen der Gruppe unter sich aufgeteilt hat«, brachte ich ihren Satz zu Ende. »Sie dagegen waren eine der Benachteiligten.«
»Und Sie glauben, dass …« Plötzlich lachte sie laut auf. »Jetzt verstehe ich: Sie halten mich für die potenzielle Mörderin.«
»Unter der Voraussetzung, dass die Theorie richtig ist, liegt die Wahrscheinlichkeit bei dreiunddreißigeindrittel Prozent.«
Ihr Lachen endete abrupt. »Aber das ist doch absurd. Warum sollte ich …«
Ich unterbrach sie: »Das Motiv, das ich anzubieten habe, heißt Rache. Die Polizei hat bislang kein besseres gefunden.«
»Ich bitte Sie, Herr Wilsberg! Ich bin eine viel beschäftigte Therapeutin.« Sie machte eine besitzergreifende Handbewegung. »Schauen Sie sich um! Ich habe wirklich Besseres zu tun als einem alten Konflikt nachzutrauern, der sich zwischen jungen, von Ideologien verblendeten Menschen abgespielt hat. Ich gebe gerne zu, dass ich damals sauer war, auf die Mehrheit unserer Gruppe, vor allem auf Jutta Rausch, die ich für die Drahtzieherin hielt. Mehr als einmal habe ich damals davon geträumt, ihr eine Ohrfeige zu verpassen. Dabei ging es mir weniger um das Geld, ich hatte schnell gelernt, auf eigenen Beinen zu stehen. Was mich mehr geärgert hat, war die Art und Weise, wie wir drei ausgetrickst wurden. Aber das alles ist längst vergessen. Wenn Sie mich nicht daran erinnert hätten …«
Das klang leider sehr überzeugend.
Sie schaute auf ihre Armbanduhr. »Haben Sie schon mit den anderen beiden gesprochen?«
»Nur mit Heiner Kleine-Langen.«
»Und welchen Eindruck hatten Sie?«
»Er hat keine Alibis für die Tatzeiten. Und er mag Jutta Rausch nicht.«
»Das wundert mich nicht. Die beiden waren die größten Streithähne. Und jetzt sitzt sie ihm quasi vor der Nase.«
»Trauen Sie ihm einen Mord zu?«
Sie fegte eine Locke aus dem Gesicht. »Sie versuchen, uns gegeneinander auszuspielen. Das gefällt mir nicht.«
»Ich habe nur eine simple Frage gestellt.«
»Auf die es keine simple Antwort gibt.« Ihre Augen funkelten distanziert. »Jeder ist zu einem Mord fähig. Wenn das Wutpotenzial groß genug und die Gelegenheit günstig ist. Aber gut. Ich will Ihre Frage beantworten. Hier handelt es sich ja nicht um einen Mord aus Affekt, sondern um eine strategisch geplante Serie, wie sie in der Regel von Psychopathen mit Wiederholungszwang verübt wird. Und Heiner müsste sich in den letzten Jahren stark verändert haben, damit er in dieses Schema passt.«
»Und was ist mit Lars Merten?«
»Bei dem werden Sie wahrscheinlich noch weniger Glück haben.«
»Kleine-Langen erwähnte einen Tumor. Ist das richtig?«
»Bedauerlicherweise. Lars zeigte – ich glaube, es war Ende der Siebzigerjahre – massive Ausfallerscheinungen. Ich habe ihn gedrängt, zum Arzt zu gehen, aber er weigerte sich. Als ich ihn schließlich überreden konnte, eine Tomografie machen zu lassen, war es bereits zu spät. In seinem Gehirn hatte sich ein Tumor gebildet, ein gutartiger zwar, jedoch groß genug, um eine dauerhafte Schädigung herbeizuführen. Der Tumor wurde operativ entfernt, aber die Ausfallerscheinungen blieben.«
Ich versuchte zu verstehen, was sie sagte.
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