Wilsberg 12 - Wilsberg und die Schloss-Vandalen
mich früh aus dem Bett. Statt eines Frühstücks nahm ich nur einen doppelten Espresso. Danach fühlte ich mich zwar noch nicht wach, aber immerhin in der Lage, ein Auto zu fahren.
Über den Gräften, die das Schloss umgaben, lag dünner Nebel. Es roch nach Herbst, obwohl es immer noch warm war.
Um halb sieben parkte ich fünfzig Meter vom Haus der Fahlenbuschs entfernt. Ich gähnte ein paar Mal, schützte meine lichtempfindlichen Augen mit einer Sonnenbrille und wartete.
Viertel vor sieben trat Oberkommissar Fahlenbusch vor die Tür. Er trug das dezente Grün der deutschen Polizei und eine schwarze Aktentasche. Mit federnden Schritten, die ihn als unverbesserlichen Frühaufsteher entlarvten, eilte er zur Garage.
Ein blauer Mittelklasse-Kombi wurde sichtbar und ich rutschte unter das Lenkrad.
Ein paar Minuten später folgte Ina. Mit geschultertem Rucksack trabte sie zu der Bushaltestelle an der Hauptstraße, wo sich bereits eine Traube von Schülern versammelt hatte. Ina begrüßte ein anderes Mädchen und dann kam auch schon der Bus. Ich ließ ihm genügend Vorsprung, lediglich an den Haltestellen fuhr ich etwas dichter auf, um Inas Ausstieg nicht zu verpassen.
Der erfolgte erst zwanzig Minuten später in Bocholt, unweit eines grauen Gebäudekomplexes aus Waschbeton, so hässlich, dass er unschwer als eine in den Siebzigerjahren erbaute Schule zu identifizieren war.
Nachdem der Unterricht begonnen hatte, näherte ich mich dem Architektur-Mahnmal. Es handelte sich um das Alfred-Nabbe-Gymnasium, ein Name, der mir nicht das Geringste sagte. Ich tröstete mich damit, dass Alfred Nabbe wahrscheinlich eine Lokalgröße gewesen war, ein berühmter Bürgermeister oder der letzte Bocholter Olympiasieger von 1936.
Im Inneren war das Alfred-Nabbe-Gymnasium eitergelb und gallegrün angestrichen, Farben, die Schüler und Lehrer daran erinnern sollten, dass eine Schule kein Ort zum Wohlfühlen war.
Ich fand das Sekretariat und setzte meinen harten, absolut humorlosen Blick auf.
»Kriminalpolizei«, knurrte ich die erschrockene Sekretärin an. Bevor sie auf dumme Gedanken kam, schwenkte ich kurz meinen Polizeiausweis vor ihrem Gesicht. Den Ausweis hatte ich für drei Mark in einem Fun-Shop erstanden.
Die Sekretärin war beeindruckt.
Ich sah mich um, als fürchtete ich Mithörer. »Ich muss mit dem Klassenlehrer von Ina Fahlenbusch sprechen.«
Sie nickte mit offenem Mund.
»Können Sie den Namen für mich herausfinden?«
»Ja, natürlich. In welche Klasse geht die Fahlenbusch?«
»Wenn ich das wüsste, wäre ich nicht hier, oder?«
Sie stürzte zu ihrem Computer, blieb unterwegs stehen und zeigte mit zitterndem Finger auf eine Seitentür. »Wollen Sie nicht zuerst mit dem Direktor reden? Er ist in seinem Büro.«
Ich winkte sie zur Theke zurück und beugte mich vor, sodass mein Mund dicht vor ihrem Ohr schwebte: »Fahlenbusch ist ein Kollege. Wir wollen jedes Aufsehen vermeiden. Je weniger davon wissen, desto besser, verstehen Sie?«
Auf ihrer Stirn bildete sich ein Schweißfilm. In Gedanken feilte sie bereits an der Geschichte, die sie am Abend ihrem Mann erzählen würde.
»Ina Fahlenbusch geht in die 11c«, verkündete sie kurze Zeit später. »Ihre Klassenlehrerin ist Frau Schmidt, Christine Schmidt. Soll ich sie ausrufen?«
»Nein, nein«, wehrte ich ab. »Das wäre zu auffällig. Wir machen das so: Zur großen Pause komme ich zurück und Sie lotsen Frau Schmidt aus dem Lehrerzimmer hierher. Darf ich Ihnen das zumuten?«
»Das ist doch gar nichts«, strahlte die Sekretärin, die sich immer besser in ihrer Rolle als Hilfsorgan der Staatsgewalt zurechtfand.
Ich nickte gewichtig. »Und kein Wort an Außenstehende. Auch nicht ...« Ich deutete zum Direktorenzimmer.
Bis zur großen Pause hatte ich genug Zeit für ein Frühstück. In der Nähe der Schule entdeckte ich eine Bäckerei mit Stehcafé. Nach dem Luxus des Schlosshotels, mit Leinendecken und ewig lächelnden Kellnerinnen, war es ganz erholsam, mal an einem Resopaltisch zu frühstücken und von einer mürrischen Verkäuferin bedient zu werden.
Christine Schmidt. Ich hatte mal eine Affäre mit einer Christine Schmidt gehabt, vor zwei oder drei Jahren. Wobei Affäre eine ziemlich übertriebene Bezeichnung für eine einzige Nacht, einen mehr oder weniger ernüchternden Morgen und einige verkrampfte Telefongespräche war.
Die damalige Christine Schmidt hatte ich auf einer Party meines Freundes Thomas kennengelernt. Thomas, der eine gut gehende
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