Wilsberg 12 - Wilsberg und die Schloss-Vandalen
Menschenknochen.« Dann erwähnte ich die vorletzte Botschaft, die von der gefundenen Leiche. »Können Sie damit etwas anfangen?«
Er verdrehte die Augen, sodass ich fürchtete, er könnte zusammenbrechen.
»Geht es Ihnen nicht gut?«
Er fasste sich wieder. »Nein, nein, es ist nichts. Ich habe nur zu wenig geschlafen und zu wenig gegessen.«
»Und?«
»Was wollen Sie hören? Ein Knochen! Mein Gott, das ist doch verrückt!«
»Offensichtlich wollen die Erpresser den Grafen mit einer Leiche in Verbindung bringen. Geht es um einen Mord? Und wer könnte gestorben sein? Überlegen Sie mal! Gab es irgendjemanden in Disselburg, der in den letzten Jahren auf merkwürdige Weise ums Leben gekommen ist?«
Er tat so, als würde er nachdenken. »Sorry, Herr Wilsberg. Dazu fällt mir nichts ein.«
Max Mehring mochte viele Fähigkeiten haben, aber lügen konnte er nicht besonders gut.
Die Fortsetzung der Gemeinderatssitzung schenkte ich mir. Ein spätes Abendessen im Hotelrestaurant schien mir weitaus verlockender.
Auf der hölzernen Zugbrücke blieb ich einen Moment stehen. Es war fast dunkel. Über dem Schlosspark lag, wie immer um diese Tageszeit, eine friedliche Stimmung. Im Turmatelier von Alex van Luyden brannte Licht.
Das brachte mich auf eine Idee. Ich beschloss, vor dem Essen dem Künstler meine Aufwartung zu machen.
Ich musste lange klopfen, bis die schwere Holztür aufgerissen wurde.
Er betrachtete mich von oben bis unten, seine dunklen Augen glühten. »Was wollen Sie? Ich bin bei der Arbeit.«
»Entschuldigen Sie, Herr van Luyden. Mein Name ist Wilsberg. Ich ...«
»Ich weiß, wer Sie sind«, unterbrach er mich. »Mein Vater hat mir von Ihnen erzählt.«
»Es tut mir leid, wenn ich Sie gestört habe. Ich dachte, Sie könnten mir vielleicht helfen. Und da wir uns im Park schon einige Male über den Weg gelaufen sind ...«
Er schnaufte. »Kommen Sie rein! Jetzt haben Sie mich sowieso aus der Konzentration gerissen.«
Eines hatte er mit Oberkommissar Fahlenbusch gemein: Er war kein Charmeur. Und doch wirkte er auf mich nicht annähernd so unfreundlich. Es lag wohl an seinen Augen, den Augen eines einsamen Menschen, der sich hinter Grobheit versteckte.
Das Atelier war beeindruckend. Ein runder, mindestens vier Meter hoher Raum, vollkommen weiß gekalkt und spärlich möbliert. Ein Sessel, eine Liege, ein Schrank für die Malutensilien, das war alles. Ein paar Bücher, Kerzen und Weinflaschen lagen und standen auf dem Boden. Es gab keinerlei Ablenkung, keinen Fernseher, kein Radio, keinen CD-Player. Nur die Bilder, die dicht nebeneinander an den Wänden hingen. Schreckliche Bilder, Bilder voller Blut und Fratzen. Geschundene, aufgeplatzte Leiber, manchmal ineinander verknäult, schemenhafte Gesichter, die wie Symbole für Angst und Schrecken wirkten.
»Wie gefallen sie Ihnen?« Es sollte beiläufig klingen. Doch wie jeder Künstler gierte Alex van Luyden nach Lob.
»Ich habe nicht viel Ahnung von Kunst«, wich ich aus. »Ich bin nur ein einfacher Detektiv.«
»Kunst ist keine Frage von Wissen. Kunst richtet sich an die Sinne.«
»Die Bilder gehen unter die Haut«, sagte ich. »Sie erinnern mich an meine schlimmsten Albträume.«
»Flusslandschaften mit Pferden gibt's in jedem Postershop.« Er war enttäuscht.
»Nein, sie gefallen mir wirklich gut«, log ich. »Ich frage mich nur, wie Sie das aushalten, so etwas zu malen.«
»Gibt es da draußen nicht Kitsch genug? Schauen Sie aus dem Fenster! Der Park – reiner Kitsch. Das Schloss – zuckersüß. Ein Künstler muss in der Hölle leben, um wirklich Großes zu vollbringen. Die Einsamkeit ist sein Schicksal.«
Die Brummigkeit vom Anfang war gewichen. Stattdessen begeisterte er sich jetzt an seiner eigenen Tragik. Aber eine Diskussion über das Künstlerleben im Allgemeinen war mir ein zu hoher Preis für sein Wohlwollen. Ich musste ihn schnell wieder auf den Boden der Tatsachen bringen.
»Leben Sie ständig hier?«
»Ich habe noch ein Zimmer im Hotel. Manchmal bleibe ich auch die Nacht über hier. Ich brauche nicht viel zum Leben.«
»Viele Künstler würden Sie um dieses Atelier beneiden.«
Er lachte. »Sie haben recht. Der Graf und mein Vater unterstützen mich finanziell. Objektiv entspreche ich dem Klischee des Bohemien, der auf Kosten anderer lebt. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Ich könnte auch in einem Kellerloch hausen. Ob sich meine Bilder verkaufen oder nicht, spielt für mich keine entscheidende Rolle.« Er legte seine Hand
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