Wilsberg 12 - Wilsberg und die Schloss-Vandalen
wühlen.«
Ich ignorierte seine Kritik. »Wie hat Nieswind seine Entlassung aufgenommen?«
»Er wurde wütend. Er hat mir eine hässliche Szene gemacht.«
»Und?«
»Nichts weiter. Ich habe ihm eine großzügige Abfindung angeboten. Ich wollte es nicht auf ein Arbeitsgerichtsverfahren ankommen lassen, bei dem alle schmutzigen Details ausgebreitet worden wären.«
»Hat Nieswind die Abfindung akzeptiert?«
»Das hat er. Ohne sich zu bedanken zwar, aber er hat das Geld genommen und ist gegangen.«
»Wohin?«
Der Graf schüttelte den Kopf. »Das entzieht sich meiner Kenntnis, Herr Wilsberg. Es hieß, er sei ausgewandert. Offen gestanden, war ich ganz froh, dass er so schnell verschwand. Das ersparte mir weiteren Ärger.«
Ich ließ ihm ein paar Sekunden zum Nachdenken. »Könnte Nieswind hinter den Anschlägen stecken?«
Sein Unterkiefer klappte nach unten. »Was sagen Sie da?«
»Vor einigen Tagen habe ich Sie gefragt, ob Sie Feinde haben. Nieswind wäre ein guter Kandidat, meinen Sie nicht? Er könnte zurückgekommen sein, um sich an Ihnen zu rächen.«
»Aber ...«
»Damit der Verdacht nicht auf ihn fällt, lässt er es so aussehen, als seien die Täter Jugendliche. In Wirklichkeit geht es ihm gar nicht um Geld.«
Der Graf sah aus, als habe er ein Schlossgespenst gesehen. »Daran habe ich überhaupt noch nicht gedacht.«
Ich ließ ihn mit den Schatten der Vergangenheit allein.
Tatsächlich war ich von meiner Theorie weit weniger überzeugt, als ich den Anschein erweckte. Es gab nämlich noch eine andere Möglichkeit. Der Jagdaufseher war vor zwei Jahren plötzlich verschwunden. Und der Knochen, den die Erpresser mit einem Kracher der Öffentlichkeit präsentiert hatten, gehörte, nach Stürzenbechers Angaben, einem vor mindestens zwei Jahren verstorbenen Mann. Hatten die Erpresser die Leiche von Wolfgang Nieswind gefunden? War Nieswind also ermordet worden? Aber von wem? Vom Grafen? Von Tonio van Luyden?
Ergebnislos grübelnd kam ich vor dem Haus an, dessen Adresse mir Christine Schmidt gegeben hatte. Die Lehrerin hatte nicht gelogen. Hinter dem Haus erstreckten sich Felder, weiter hinten standen Kühe, die einen selbstzufriedenen Eindruck machten, die Straße endete in einem Wanderpfad, der zu einem kleinen Wäldchen führte. Und über allem lag der sanfte Geruch von Gülle.
Für Naturfreunde sicher ein Hochgenuss. Ich machte mir eigentlich nicht viel aus Natur. Hochhausschluchten und italienische Stadtvillen konnten mein Herz erwärmen, aber nicht das fade Grün einer bewusstlosen Pflanzenwelt.
Christine hatte ihre Tochter bei der Nachbarin abgegeben, die unter ihr wohnte und genau genommen ihre Vermieterin war.
Wir schlenderten über den Wanderpfad zu dem kleinen Wäldchen. Die ersten Blätter färbten sich gelb und rot, Vorboten des unwiderruflich näher rückenden Herbstes, den die sommerlichen Temperaturen nicht wahrhaben wollten. Ich begann mich zu fragen, was ich hier machte.
»Ist der Herbst nicht toll?«, schwärmte Christine. »Wann hatten wir schon mal einen September, in dem es so lange warm war?«
»Ja, ganz fantastisch«, sagte ich.
»Als ich hierher kam, merkte ich erst, was mir in Münster gefehlt hat: freie Luft zum Atmen, keine Autos, die Lärm machen und die Luft verpesten. Könntest du dir nicht vorstellen, in Disselburg zu leben?«
»Nein. Ich brauche meine tägliche Dosis Großstadt. Den Bratwurstverkäufer vor C & A, klimatisierte Kaufhäuser, Kulturveranstaltungen, die ich besuchen könnte, auch wenn ich es nicht tue.«
Christine lachte. »Du bist unverbesserlich.«
»Wahrscheinlich.« Ich verscheuchte eine Mücke. Zur Abwechslung und um keine romantische Stimmung aufkommen zu lassen, redete ich über den Jagdaufseher.
Christine sagte, dass sie ihn persönlich nie kennengelernt habe. Alles, was sie über ihn wisse, habe ihr Max Mehring erzählt. »Anscheinend war er ein netter Kerl, ein bisschen impulsiv und aufbrausend, aber ehrlich und offen. Der arme Alex! Wolfgang war seine große Liebe.«
»Warum ist Alex nicht mit seinem Freund durchgebrannt?«
Sie machte mit Daumen und Zeigefinger das international bekannte Zeichen für Geld. »Alex ist von seinem Vater abhängig. Er hat nichts gelernt, ein Studium angefangen und wieder abgebrochen und seine Bilder verkaufen sich nicht. Vor ein paar Jahren ist er mal nach Amsterdam gegangen. Nach einem halben Jahr kam er zurück, mit einem Haufen Schulden am Bein. Wenn du mich fragst: Alex ist einfach lebensuntüchtig. Papa
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