Wilsberg 12 - Wilsberg und die Schloss-Vandalen
Tonio und Onkel Graf Joseph sorgen für ihn und garantieren ihm ein angenehmes Leben. Er darf malen und seine Schwermut pflegen. Warum sollte er das aufs Spiel setzen?«
»Auch wenn er unglücklich ist?«
»Für manche Menschen ist das die bessere Alternative.«
Ich schaute nach oben. »Sollen wir nicht langsam umkehren?«
»Bist du schon müde?«
»Das auch. Außerdem wird es bald dunkel.«
Christine lachte. »Fürchtest du dich im Dunkeln?« Sie berührte meine Schulter. »Keine Angst! Ich beschütze dich.«
Wir schlugen den Rückweg ein.
Nach ein paar Schritten sagte sie: »Ich habe noch mal über Ina und Michael nachgedacht. Es gibt tatsächlich einen Grund, warum sie den Grafen ärgern könnten.«
»Und welchen?«
»Hast du schon von der geplanten neuen Umgehungsstraße gehört?«
»Ich war im Rathaus, als darüber debattiert wurde.«
»Dann weißt du ja Bescheid. Die Straße soll durch das Dinklager Moor gebaut werden. Die Naturschützer, und selbstverständlich auch Ina und Michael, sind entschieden dagegen. Das Projekt steht und fällt aber auch mit der Zustimmung des Grafen.«
»Wieso das?«
»Ihm gehört der größte Teil des Dinklager Moores. Falls er nicht an den Kreis verkauft, kann die Straße nicht gebaut werden, zumindest würde sich das Vorhaben erheblich verzögern.«
»Ein interessanter Aspekt«, sagte ich. »Ein überaus interessanter Aspekt.«
Wir erreichten den Waldrand.
Sie schaute mich von der Seite an. »Du ...«
»Ja?«
»Wenn ich damals nicht von Kindern angefangen hätte ...«
»Das ist eine hypothetische Diskussion.«
»Hättest du mich dann trotzdem sitzen lassen?«
Ich fühlte leichte Panik aufsteigen. Solche Gespräche waren für einen normal verknöcherten Mann wie mich der reinste Horror. »Christine«, ich bemühte meine sanfte, vertrauenerweckende Stimme, »ich freue mich, dich wiederzusehen, ich rede gern mit dir, aber ...«
Sie lachte. »Denkst du, ich will dich verführen? Manche Fehler sollte man nicht zweimal machen.«
»Vergessen wir die Vergangenheit!«, schlug ich vor.
»Schon passiert. Kommst du noch auf ein Glas zu mir? Nur zum Reden«, fügte sie beschwichtigend hinzu.
»Vielleicht ein anderes Mal.« Ich seufzte entsagungsvoll. »Ich muss noch arbeiten. Das Schloss bewachen. Dafür werde ich vom Grafen bezahlt.«
Sie stellte sich auf ihre Fußspitzen und gab mir einen Kuss auf den Mund. »Ruf mich an! Mich interessiert, was du über Ina und Michael herausfindest. Oder ich rufe dich an.«
Als ich im Auto saß, atmete ich auf. Ich hatte nicht die Absicht, im Schlosspark Überstunden abzureißen. Alles, was ich jetzt noch wollte, war im Hotelbett liegen und einen Action-Film im Fernsehen schauen.
Und das tat ich auch.
VIII
Als ich Haldern verließ, war ich nicht schlauer als vor meiner Fahrt zu diesem verschlafenen, rechtsrheinischen Dorf. Detektivarbeit ist ein Puzzlespiel mit überschüssigen Teilen, manche passen nirgendwohin. Trotzdem lohnt es sich, sie auszusortieren. Deshalb grämte ich mich nicht, kurbelte das Seitenfenster herunter und genoss die milde Herbstluft.
In Haldern hatte ich Michael Horst besucht, einen paus- und rotbäckigen jungen Mann in grüner Uniform. Horst war eindeutig unschwul. Seine Frau, die einen kreischenden Säugling auf dem Arm schaukelte, demonstrierte frisches Familienglück. Horst war der neue Jagdaufseher des Grafen zu Schwelm-Legden und damit Wolfgang Nieswinds Nachfolger. Und Horst hatte genauso wenig Ahnung, wo sein Vorgänger abgeblieben war, wie alle anderen. Er hatte nicht einmal mit Nieswind gesprochen, alle Informationen über seine Arbeit vom Grafen und dessen Verwalter bekommen und kannte die Gründe für die Entlassung seines Vorgängers nur aus zweiter Hand. Ein nicht kompatibles Puzzleteil also. So etwas kommt vor.
Am späten Vormittag kehrte ich zum Schloss zurück. Selbst ein Künstler sollte um diese Tageszeit sein Frühstück beendet haben. Ich stiefelte die Steintreppe des Bergfrieds hinauf und klopfte an die Tür des Ateliers. Alex van Luyden brauchte einige Zeit, bis er öffnete, aber das war ich ja gewohnt.
»Sie schon wieder?«
»Es tut mir leid ...«
»Entschuldigen Sie sich nicht dauernd. Kommen Sie rein!«
Er war rau, aber nicht unbedingt herzlich. Oder ich nicht sein Typ. Der intensive Geruch nach Ölfarben verriet, dass er bereits gearbeitet hatte. Ich betrachtete das halb fertige Bild auf dem Holzgestell. Es passte in seine morbide Phase.
»Sie haben mir bei meinem letzten
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