Wilsberg 13 - Wilsberg isst vietnamesisch
hat?«
»Vielleicht. Aber erst morgen.«
»Mehr habe ich doch gar nicht verlangt.«
Im Bett neben Franka lag eine schlafende, zerbrechlich aussehende junge Frau, die sich teintmäßig kaum von der weißen Bettwäsche unterschied.
»Blinddarm«, erklärte Franka leise, um die Schlafende nicht aufzuwecken. »Sie ist frisch operiert worden.«
»Und wie geht es dir?«
»Mir ist stinklangweilig. Den ganzen Tag fernsehen, lesen oder die Aussicht auf Münster genießen, das ist echt nicht der Hit.«
»Klingt so, als ob du dich auf dem Weg der Besserung befindest.«
»Am liebsten würde ich heute noch verschwinden. Aber die haben gesagt, ich soll noch eine Nacht bleiben und die Visite morgen Vormittag abwarten.«
»Das ist auch besser so«, versuchte ich sie zu überzeugen. »Du solltest nichts überstürzen.«
»Du redest wie meine Mutter.«
Sie hatte wirklich eine beschissene Laune. Zur Ablenkung erzählte ich ihr von meinen Ermittlungen. Das brachte sie wenigstens auf andere Gedanken.
»Glaubst du, die Kentrup hat alle vier Frauen umgebracht?«
»Vielleicht noch mehr. Ich habe ja nur die letzten zwölf Monate überprüft.«
»Das wäre ja Wahnsinn.«
»So was kommt häufiger vor, als man denkt. Alte und Kranke sind perfekte Opfer. Niemand kommt auf den Gedanken, dass sie ermordet worden sind. Die Kentrup sorgt dafür, dass die Toten im Bett liegen, und schon gehen alle von einem natürlichen Tod aus. Die Polizei wird nicht eingeschaltet, eine Obduktion ist selbstverständlich überflüssig.«
»Aber warum soll sie das getan haben?«
»Bei Helga Dickmöller sieht es so aus, als seien ihre Bargeldverstecke in der Wohnung geplündert worden. Vielleicht sind die anderen Frauen auch bestohlen worden. Die andere Möglichkeit wäre, dass die Kentrup aktive Sterbehilfe leistet. Gerade in der Sozial- und Medizinbranche gibt es immer wieder Verrückte, die sich zum Herrscher über Leben und Tod machen und davon überzeugt sind, dass sie den Leuten etwas Gutes tun.«
»Denkst du, der Pfarrer steckt mit ihr unter einer Decke?«
»Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich glaube, er will einfach nicht wahrhaben, dass in seiner Gemeinde eine Mörderin umgeht.«
»Und was hast du jetzt vor?«
»Solange wir nicht wissen, ob die Frauen tatsächlich ermordet wurden, ist alles andere müßig. Und Stürzenbecher weigert sich, etwas zu unternehmen. Er müsste dafür sorgen, dass die Leichen exhumiert und obduziert werden.«
»Ich habe eine Idee«, sagte Franka. »Im Rahmen meines Studiums habe ich mich auch mit Rechtsmedizin beschäftigt. Der Direktor des Rechtsmedizinischen Instituts in Münster, Professor Carl Celenius, ist eine internationale Koryphäe. Erzähl ihm doch mal die Geschichte und frag ihn, was man machen kann.«
»Mein Gott, wie schrecklich«, sagte die Frau im Nebenbett.
Franka und ich drehten uns um.
»Haben Sie etwa zugehört?«, fragte ich.
»Sie waren ja nicht besonders leise.«
»Das hat gar nichts zu bedeuten«, log ich. »Ich habe Franka nur von einem Film erzählt, den ich gestern gesehen habe.«
»Erzählen Sie das meiner Oma!«, murmelte die Frau. Dann fielen ihr die Augen zu. Sie schien wieder zu schlafen.
XI
Am nächsten Morgen rief ich in der Rechtsmedizin an. Eine Sekretärin sagte mir, Professor Celenius sei zwar im Hause, wolle aber nicht gestört werden, da er in Kürze zu einer Dienstreise aufbrechen würde.
Von meiner Wohnung im Kreuzviertel bis zum Institut für Rechtsmedizin brauchte ich mit dem Auto nur zehn Minuten. Das Institut befand sich in der Nähe des Coesfelder Kreuzes, wo die naturwissenschaftlichen und medizinischen Fachbereiche der Westfälischen Wilhelms-Universität in zweckmäßigen, identitätslosen Kästen versammelt waren, ein Viertel, das auch in jeder anderen Stadt der Welt hätte stehen können. Von der Von-Esmarch-Straße bog ich in eine kleine Zufahrt ab. Hinter einem breiten Rasenstreifen, ein paar Hecken und einem kleinen Parkplatz sah das Gebäude unscheinbar aus, beinahe winzig zwischen den anderen, wesentlich größeren Fachkliniken der Uni.
Ich stellte das Auto auf dem Parkplatz ab, stieg aus und hoffte, dass Professor Carl Celenius seine Dienstreise noch nicht angetreten hatte. Meine Hoffnung schien berechtigt, denn in der Parkbucht, die laut Schild einem Prof. Celenius vorbehalten war, stand ein nachtblauer Jaguar Sovereign mit der mittleren Buchstabenkombination CC auf dem Nummernschild. Selbst ein schlechterer Detektiv als ich hätte daraus
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