Wilsberg 13 - Wilsberg isst vietnamesisch
Rest und legte das Buch zurück.
Keine Minute zu früh, denn als ich die Wohnung verließ, kam Kentrup bereits die Treppe herauf. So lautlos wie möglich sprintete ich zum nächsthöheren Treppenabsatz. Kentrup schloss die Wohnungstür auf und schöpfte offenbar keinen Verdacht.
Entgegen anders lautenden Meinungen hatte ich manchmal auch Glück.
Auf der Hörster Straße kaufte ich bei einem Bäcker ein klebriges Schinken-Käse-Baguette und trauerte den belegten Brötchen nach, die es in meiner Jugend gegeben hatte. Wer auch immer auf die Idee gekommen war, dass strohige Salatblätter, matschige Tomaten- und Gurkenscheiben samt Mayonnaise-Klecks auf und zwischen alle Backwerke gehören, der sollte sich vor dem Internationalen Gerichtshof gegen Geschmacklosigkeit verantworten müssen.
Nachdem ich meinen Magen notdürftig gefüllt hatte, überquerte ich die Straße und betrat die von Johann Conrad Schlaun konzipierte ehemalige Kapelle der Lotharinger Chorfrauen, in der sich seit vielen Jahren das Stadtarchiv befand. Im Inneren war es immer noch so still wie in einem Kloster. Einige alte Männer, die wie emeritierte Professoren aussahen, schlichen auf Gummisohlen zwischen den Regalen umher oder saßen an Tischen, die mit dickleibigen Wälzern und Papieren überhäuft waren.
Ich blieb neben einem Mann im beigen Pullunder stehen und räusperte mich.
Sofort schauten mich alle irritiert an.
»Ich suche die Ausgaben der Münsterschen Nachrichten «, sagte ich schüchtern.
Eine knochige Hand deutete auf ein Regal.
Die nächste Stunde arbeitete ich mich durch die Todesanzeigen der letzten zwölf Monate. Vier Namen standen auch auf meiner Liste, einschließlich dem von Helga Dickmöller.
Die Kernarbeitszeit war bereits vorüber, auf den Fluren des Polizeipräsidiums schufteten die Putzkolonnen. Hauptkommissar Stürzenbecher schloss gerade sein Büro ab.
»Gut, dass ich dich noch erwische«, sagte ich.
Er steckte den Schlüssel in die Tasche und ging zum Aufzug. »Ich habe eine Verabredung.«
»Mit wem?«
»Geht dich nichts an.«
»Fünf Minuten«, bat ich.
Er drückte auf den Aufzugknopf. »Dann komme ich zu spät zu meiner Verabredung.«
»Und wenn schon. Viele Leute kommen aus Gewohnheit fünf Minuten zu spät zu ihren Verabredungen.«
»Ich nicht.«
Die Aufzugtür öffnete sich.
»Drei Minuten«, schlug ich als Kompromiss vor.
Er seufzte. »Habe ich dir schon gesagt, dass du eine Nervensäge bist?«
»Heute noch nicht.«
Die Aufzugtür schloss sich wieder.
»Also gut. Zwei Minuten.«
Wir gingen zu seinem Büro zurück.
Ich präsentierte ihm die Liste und das Ergebnis meiner Recherchen im Stadtarchiv.
»Wie bist du an die Namen gekommen?«, fragte Stürzenbecher misstrauisch.
»Das willst du lieber nicht wissen. Entscheidender finde ich, dass vier Frauen, die von Frau Kentrup betreut wurden, in den letzten zwölf Monaten gestorben sind.«
»Was ist daran Besonderes? Ich schätze, jede Pflegerin in einem Altenheim kommt auf eine ähnliche Quote.«
»Die Frauen haben in ihren Wohnungen gelebt, waren also nicht sehr krank. Außerdem musst selbst du zugeben, dass eine derartige Mortalitätsrate für einen relativ kleinen Stadtteil wie Sankt Mauritz ungewöhnlich ist.«
Er grunzte. »Ich will dir mal was sagen, Wilsberg: Alles, was du mir anbietest, sind Vermutungen und Spekulationen. Nichts, worauf ich eine Untersuchung aufbauen könnte. Abgesehen davon, kommst du jeden Tag mit neuen Verdächtigen. Gestern waren es noch Susanne Klotz und Holger Biereichel, heute ist es diese Frau Kentrup. Kannst du dich nicht mal entscheiden, wer der Mörder ist?«
»Dabei geht's doch um verschiedene Fälle«, protestierte ich.
»So? Ich erinnere mich, dass du mir gestern einen Vortrag darüber gehalten hast, dass der Mord an Jessica Wiedemann und der angebliche Mord an Helga Dickmöller zusammenhängen.«
»Das war gestern. Heute bin ich einen Schritt weiter. Inzwischen glaube ich, dass wir es mit zwei verschiedenen Tätern zu tun haben.«
»Toll«, höhnte er. »Zuerst war es nur ein simpler Mord, jetzt kommt noch eine ausgewachsene Mordserie hinzu. Übrigens habe ich mit Klotz und Biereichel geredet.«
»Und?«, fragte ich.
»Beide haben keine Alibis. Das ist auch schon alles, was gegen sie spricht.« Er schaute auf seine Uhr. »Die fünf Minuten sind um.«
»Noch mal zurück zu den vier toten Frauen«, sagte ich schnell. »Kannst du nicht wenigstens überprüfen, wer die Totenscheine ausgestellt
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