Wilsberg 13 - Wilsberg isst vietnamesisch
»In ihrem Zustand dürfte das wohl schwer fallen.«
Ich folgte dem Hauptkommissar zu seinem Büro.
Gemeinsam lasen wir den Laborbericht. Dann waren wir ratlos.
»Kein Gift, keine schädliche Beimischung, keine Überdosierung«, fasste Stürzenbecher zusammen.
»Wahrscheinlich ist Thalheim vorsichtig geworden«, bemühte ich mich um eine Erklärung. »Er hat ja mitbekommen, dass da eine Untersuchung läuft. Du solltest seine Praxis durchsuchen, bevor er alle Beweise beseitigen kann. Falls er es nicht schon getan hat.«
»Mit welcher Begründung?«, fragte Stürzenbecher zurück.
»Du hast selbst gesagt ...«
»Ja, ich habe gesagt, dass ich nicht an Zufälle glaube. Trotzdem ist nicht auszuschließen, dass die alten Frauen eines natürlichen Todes gestorben sind. Warum sollte Thalheim überhaupt mit der Kentrup zusammenarbeiten? Glaubst du, in seiner Position ist er darauf angewiesen, sich mit ihr ein paar tausend Mark zu teilen. Mein Gott, Wilsberg, der Mann besitzt eine gut gehende Praxis.«
Das war ein Punkt für ihn.
»Aber Jessica ...«
»Jessica, Jessica«, brummte Stürzenbecher ärgerlich. »Bis jetzt habe ich nur eine Diebin. Deine Theorie, das alles miteinander zusammenhängt, ist reines Wunschdenken. Warten wir ab, ob die Gerichtsmediziner etwas finden. Die Exhumierung der vier Frauenleichen ist für morgen angesetzt.«
XV
Der Friedhof war mit rot-weißem Band abgesperrt, zusätzlich hielten uniformierte Polizisten die anwachsende Gruppe der Schaulustigen und die um ihren täglichen Friedhofsbesuch bangenden Witwen in Schach. Ich musste warten, bis Stürzenbecher zum Eingang kam, bevor ich mit seinem Segen den Friedhof betreten durfte.
Die Stimmung des Hauptkommissars war gedämpft. »Ich hoffe bloß, dass die Rechtsmediziner was finden. Die Sache wirbelt eine Menge Staub auf. Pfarrer Brockhage hat sich offiziell bei der Staatsanwaltschaft beschwert. Und der Oberstaatsanwalt hat kalte Füße bekommen. Er hat mächtig Schiss vor einem neuen Skandal. Schließlich hat sich die münstersche Staatsanwaltschaft in den letzten Jahren nicht mit Ruhm bekleckert.«
»Sie werden schon was finden«, sagte ich mit übertriebener Zuversicht.
»Zum Glück haben wir wenigstens die Kentrup. Das rechtfertigt den Verdacht auf Tötungsdelikte. Trotzdem werden die mich einen Kopf kürzer machen, wenn die Frauen eines natürlichen Todes gestorben sind.« Stürzenbecher grunzte. »Na ja, die paar Jahre bis zur Pensionierung sitz ich noch ab.«
Ich wollte etwas Aufmunterndes sagen, aber mir fiel gerade nichts ein.
Die Grabungsstellen waren mit Sichtblenden abgeschirmt, hinter denen Friedhofsarbeiter die Erde aushoben. Pfarrer Brockhage stand zwischen den Gräbern und warf mir einen kurzen, ausgesprochen unfreundlichen Blick zu. Einige Herren mit goldgeränderten Brillen, die nervös an Zigaretten sogen, sahen nach Staatsanwaltschaft aus.
Als wäre die Atmosphäre noch nicht trist genug, setzte ein leichter Nieselregen ein. Ich entdeckte Professor Celenius, der sich ein wenig abseits postiert hatte.
Dem Professor schien das alles nichts auszumachen. »Meinen Glückwunsch!«, sagte er fröhlich. »Ihre Hartnäckigkeit hat sich also ausgezahlt.«
»Abwarten«, sagte ich skeptisch. Stürzenbechers Kleinmut hatte mich angesteckt.
»Wir werden unser Bestes tun«, versprach Celenius. »Wie ich schon sagte, mit Exhumierungen haben wir unsere Erfahrungen.«
»Was können Sie denn nach so langer Zeit noch feststellen?«
»Äußere Gewaltanwendung zu fast hundert Prozent. Schwieriger wird es bei Giften. Die haben ein unterschiedliches Verfallsdatum. Einige sind schon nach Tagen abgebaut, andere sind post mortem jahrelang nachweisbar.«
»Wie tröstlich, ich tippe nämlich eher auf Gift.«
»Dann können wir nur hoffen, dass der oder die Täter sich nicht so gut auskennen.«
»Davon kann man bei einem Arzt wohl kaum ausgehen«, bemerkte ich bekümmert.
»Ach ja, richtig«, sagte Celenius. »Sie glauben ja, dass dieser Arzt beteiligt ist.«
»Eben.«
Ein Sarg wurde aus einem Grab gehoben und in einen Leichenwagen verfrachtet.
Der Professor ließ mich stehen. »Morgen wissen wir mehr. Ich kümmere mich mal um meine Patientin.«
Ich schlenderte zu Stürzenbecher, der mit finsterem Gesicht das Geschehen verfolgte.
»Mir ist da noch was eingefallen«, begann ich.
»Verschon mich bloß mit deinen Ideen«, knurrte der Hauptkommissar.
»Hör doch erst mal zu! Also, angenommen, Jessica Wiedemann hat in der Praxis von
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