Wilsberg 15 - Wilsberg und die Malerin
wessen Tochter Kathrin gestorben war.
»Wir haben das immer noch nicht begriffen«, sagte Frau Meyer, »sie war ja unser einziges Kind. Wie konnte das geschehen? Sie war doch so eine gute Autofahrerin.«
Während Jonathan Fürth eine Emotion wie Trauer vermutlich für eine Spaßbremse hielt, war Kathrins Mutter so voll davon, dass sie mich, einen völlig Fremden, fünf Minuten lang nicht zu Wort kommen ließ. Irgendwann schaffte ich es, das Gespräch auf Kathrins Wohnung zu lenken.
»Ja«, sagte Frau Meyer, »wir haben die Wohnung aufgelöst. Das meiste hat eine Firma entsorgt, das war ja ... nicht ...« Ihre Stimme versagte.
»Aber ihren Computer oder Laptop und ihre Aktenordner haben Sie doch sicher mitgenommen?«
»Da hat uns ein Kollege von Kathrin aus der Redaktion geholfen. Er hat gesagt, der Laptop gehöre der Zeitung, für die sie gearbeitet habe, und ihr Material könne man dort noch gebrauchen. Er hat alles mitgenommen, was mit ihrem Beruf zu tun hatte. Das ist bestimmt in Kathrins Sinn gewesen. Mein Mann und ich können damit ja doch nichts anfangen.«
»Hat der Kollege seinen Namen genannt?«
»Ja. Warten Sie! Er hieß Schmidt, Harald Schmidt.«
»Wie sah er aus?«
Ihre Beschreibung traf auf ungefähr jeden dritten Deutschen im Alter von fünfundzwanzig bis fünfunddreißig zu. Aber sie würde ihn wiedererkennen.
Nach dem Telefongespräch nahm ich ein Bier aus dem Kühlschrank und eine Zigarre aus dem kleinen Humidor und setzte mich mit dem Manuskript auf den Balkon. Es war ein lauer Sommerabend. Meine Nachbarn saßen paarweise oder mit Freunden in ihren Hintergärten, tranken Wein und lachten über Scherze, die sie sich gegenseitig erzählten. Ein paar Kinder nützten die Langmut ihrer Mütter zu kreischenden Stimmbandübungen und etwas entfernt bahnte sich in einer Studentenwohnung eine lärmende Fete an. Ein typischer Abend im Kreuzviertel. Auf dem Balkon unter mir rumorte Cordula Deistermann. Ich hätte mich über die Brüstung beugen und sie begrüßen können, aber ich zog es vor, mich still zu verhalten.
Zwei Stunden später zündete ich die Petroleumlampe an, weil die Buchstaben auf dem Papier verschwammen. Eigentlich war die Lampe für romantische Abende zu zweit gedacht, allerdings hatte sich in den letzten Jahren kaum eine Gelegenheit ergeben, sie einzusetzen.
Ich schüttelte den Gedanken ab und las weiter. Mehr als die Hälfte des Textes hatte ich schon geschafft, einiges, was mir nicht so wichtig erschien, auch übersprungen.
Kathrin Meyer hatte ihr Buch chronologisch angelegt. Sie begann mit Gubers Eltern, die sich in den letzten Kriegsjahren kennen gelernt und geheiratet hatten. Sie schilderte die Verwicklung von Gubers Vater in die Nazi-Gräuel und seine Verurteilung als Kriegsverbrecher.
Gottfried war zwischen Kriegsende und Prozessbeginn gezeugt worden. Seiner Schulzeit hatte Meyer ein eigenes Kapitel gewidmet. Sie hatte sogar einen Klassenkameraden aus Gubers Gymnasium aufgetrieben, der eine exemplarische Geschichte über Gubers Charakter erzählte: Einmal war Guber nicht Klassenbester geworden, sondern ein Mitschüler. Im darauf folgenden Schuljahr hatte Guber diesen Schüler so aggressiv gemobbt und in der Klasse isoliert, dass der besagte Schüler aus lauter Verzweiflung seine schulischen Leistungen schleifen ließ und Guber am Ende wieder Bester war. Das allein reichte Guber jedoch nicht, er musste den gedemütigten Konkurrenten nach der Zeugnisausgabe auch noch verhöhnen.
Ein Verhalten, das sich in der Studentenzeit bruchlos fortsetzte. Guber schloss sich einer schlagenden Verbindung an und übernahm rasch Führungspositionen. Später protzte er damit, dass er bei der Mensur für seine Gegner zu gut gewesen sei, so habe er zwar anderen reichlich Schmisse zugefügt, selbst aber nie einen abbekommen. Mit einer Narbe im Gesicht herumzulaufen, sagte er in einem Interview, wäre nicht gut fürs Image gewesen.
Schon damals politisch konservativ, konnte Guber mit der Studentenbewegung, die ab 1968 die Universitäten überrollte, wenig anfangen. Er trug weiter Anzug und Krawatte und machte sich über die langhaarigen, Parkas tragenden Linken lustig. Gelegentlich kam es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen der Truppe der ihm Ergebenen, die er um sich geschart hatte, und linken Studentengruppen. Da Guber nicht nur im Fechtkampf erfahren war, sondern auch Wert auf körperliches Training legte, zogen die Linken oft den Kürzeren.
Obwohl Guber fast ständig von
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