Wilsberg 15 - Wilsberg und die Malerin
ihre Gesundheit. Haben wir nicht miteinander telefoniert?« Das galt Stürzenbecher. »Und habe ich Ihnen nicht gesagt, dass Frau Gessner frühestens in einigen Tagen vernehmungsfähig ist?«
»Schon gut, Doktor.« Stürzenbecher bekam einen roten Kopf. »Sie sagt, sie sei entführt worden. Wie glaubwürdig ist das?«
»Woher soll ich das wissen?«, antwortete der Arzt sarkastisch. »Kann sein, dass sie die Wahrheit sagt, kann sein, dass sie fantasiert. Wir haben mit der Therapie noch nicht einmal angefangen. Im Moment geht es darum, dass sie sich körperlich erholt.«
»Was machen Sie denn hier?«, fragte eine Stimme mit Schweizer Akzent.
Ich drehte mich um. Jean Gessner.
Der Bankdirektor baute sich vor mir auf. »Ich habe Sie dafür bezahlt, dass Sie mir das Bild zurückbringen. Ich habe Sie nicht gebeten, meine Tochter zu suchen.«
»Das war ich«, sagte Nora, die uns aus dem Krankenzimmer gefolgt war.
Gessner fuhr sie auf Schweizerdeutsch an, Nora antwortete in derselben, unverständlichen Sprache.
»Bitte!« Der Arzt hob beschwichtigend die Arme. »Das hier ist ein Krankenhaus. Setzen Sie Ihre Diskussion woanders fort!«
»Ich möchte meine Tochter Lena nach Zürich mitnehmen«, wechselte Gessner wieder ins Hochdeutsche.
Der Arzt war nahe daran, die Fassung zu verlieren. »Das halte ich aus medizinischer Sicht für keine gute Idee.«
»Ob Sie das für eine gute Idee halten oder nicht, ist mir egal. Sie können sie nicht gegen ihren Willen festhalten, oder?«
»Nein.«
»Sehen Sie!«
»Sie muss allerdings unterschreiben, dass sie gegen ärztlichen Rat und auf eigene Verantwortung das Krankenhaus verlässt.«
»Das wird sie. Holen Sie schon mal das Formular!«
»Papa, was soll denn das?«, protestierte Nora.
Wieder folgte ein Schwall Schweizerdeutsch. Ich verstand nur die Worte Klinik und gut. Gessner schaute in die Runde. »Oder erhebt noch jemand Ansprüche auf meine Tochter?«
Stürzenbecher meldete sich: »Die münstersche Kripo möchte sie als Zeugin in einem Todesfall vernehmen.«
»Nun, sobald sie dazu in der Lage ist, wird Lena Ihre Fragen sicher gerne beantworten. Sie müssen nur einen Antrag stellen. Wie Sie wissen, ist Lena Schweizer Staatsbürgerin.«
»Warum habe ich mich bloß darauf eingelassen?« Stürzenbecher hängte sein Jackett über die Schulter und lockerte die Krawatte. »Hast du gehört, wie sich dieser Schweizer Bankheini über mich lustig gemacht hat? Nette Auftraggeber hast du.«
Gessners Auftritt war auch für mich peinlich gewesen. Deshalb suchte ich, während ich neben dem Hauptkommissar über das Klinikgelände schlenderte, vergeblich nach einer passenden Antwort.
»Immerhin hat Lena bestätigt, dass sie entführt worden ist.«
»Sie hätte auch bestätigt, dass die Erde zwei Monde hat, wenn du es ihr in den Mund gelegt hättest. Ohne eine unterschriebene Aussage kann ich damit gar nichts anfangen. Und wonach soll ich suchen? Nach einem blauen Kombi? Oder einem Keller mit zwei Männern?«
»Und wenn sie die Wahrheit gesagt hat? Willst du die Sache auf sich beruhen lassen?«
»O nein!«, schnaufte Stürzenbecher. »Ich werde machen, was Gessner vorgeschlagen hat: Ich werde einen Antrag stellen.«
»Das dauert doch Monate. Bis dahin ist die Spur tot wie ein Dodo.«
»Was ist ein Dodo?«
»Ein mauritischer Vogel, der im siebzehnten Jahrhundert ausgestorben ist.«
»Sehr witzig, Wilsberg. Und von welcher Spur redest du?«
»Ich habe eine.«
»Wo führt die hin?«
»Zu Gottfried Guber.«
» Dem Gottfried Guber?« Stürzenbecher blieb stehen.
Ich nickte.
»Bist du jetzt völlig übergeschnappt?«
Ich erzählte ihm trotzdem von den beiden Männern vor meiner Wohnungstür, die vielleicht dieselben waren wie die, die Lena entführt hatten.
Er grinste höhnisch. »Einer dieser beiden Männer, die abends an deine Tür geklopft haben, was ja nach dem Strafgesetzbuch nicht verboten ist, könnte also möglicherweise unter Umständen der Sohn eines Direktkandidaten der DAD sein?«
»Und außerdem in der Stabsabteilung von Guber arbeiten.«
»Weißt du, was der Staatsanwalt macht, wenn ich ihm vorschlage, darauf eine Ermittlung aufzubauen?«
Ich konnte es mir denken.
»Er lacht mich aus«, sagte Stürzenbecher. »Und zwar mit Recht. Guber wird uns der Presse als Beute vorwerfen, sobald er davon Wind bekommt.«
Ich hatte nicht vorgehabt, es zu erwähnen, aber seine Sturheit provozierte mich. »Und was ist mit der Journalistin, die gegen einen Baum gefahren
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