Wilsberg 17 - Wilsberg und die dritte Generation
sehen ist, das sich auffällig verhalten hat. Als sich Birgit Hogefeld mit Klaus Steinmetz, dem V-Mann des Verfassungsschutzes, im Bahnhof von Bad Kleinen getroffen hat, drei Tage vor ihrer Festnahme. Zur selben Zeit hat dieses Paar den Bahnhofsvorplatz gesichert, an verschiedenen Stellen herumgestanden und sich nach allen Seiten umgeschaut. Das ganze Gelände war ja wegen der beabsichtigten Festnahme gut überwacht. Es gab mehrere ferngesteuerte Videokameras, sogar in einem Papierkorb. Das Pärchen ist von allen Seiten erfasst worden. Trotzdem ist bis heute unbekannt, um wen es sich handelt. Warum sind die Aufnahmen nie veröffentlicht worden?«
»Was denken Sie?«, fragte Niemeyer.
»Dass man sehr genau weiß, wer die beiden waren.«
Niemeyer lächelte. »Da könnten Sie recht haben.«
»Dann hat es außer Klaus Steinmetz also noch weitere V-Leute bei der RAF gegeben?«
»Möglicherweise.«
»Und wo wir gerade dabei sind«, redete ich weiter. »Wie ist die RAF an ihr technisches Know-how und ihre Hightechausrüstung gekommen? Beim Anschlag auf Herrhausen wurden eine Lichtschranke und eine Trichterbombe verwendet. Obwohl Herrhausen in einem gepanzerten Fahrzeug saß und zwei andere Autos mit Leibwächtern vor und hinter ihm fuhren, war die Aktion so exakt geplant, dass der Sprengstoff nur ihn tötete. Eine ballistische Meisterleistung, die ohne Spezialisten und Probesprengungen wohl kaum geklappt hätte.«
»Die RAF hatte Unterstützung von anderen terroristischen Gruppen«, sagte Niemeyer. »Von den Roten Brigaden in Italien, vielleicht auch von der IRA oder Gruppen im Nahen Osten.«
»Oder von staatlichen Stellen in Deutschland?«
Sie musterte mich. »Zu welchem Zweck?«
»Um die RAF als Gegenspieler am Leben zu erhalten. Ein Killerkommando, das jederzeit zuschlagen kann, lenkt von anderen Problemen ab. Und es schafft Arbeitsplätze. Brandstifter sind oft genug Feuerwehrleute.«
Niemeyer protestierte nicht. Sie ließ sich Zeit mit der Antwort und sagte dann ruhig: »Das ist eine ungeheuerliche Behauptung, die Sie da aufstellen.«
»Aber Sie halten sie nicht für völlig abwegig?«
Die Kommissarin schwieg.
»Erzählen Sie mir nicht, dass so etwas in Deutschland undenkbar ist«, fuhr ich fort. »Bei der Entstehung des linken Terrorismus mischte der Verfassungsschutz kräftig mit. Peter Urbach, ein Agent des Berliner Verfassungsschutzes, versorgte im Sommer 1969 die Kommune 1 und andere mit Waffen und Bomben. 1971, nach dem Prozess gegen Horst Mahler, wurde Urbach außer Landes gebracht und mit einer neuen Identität ausgestattet. Und 1978 sprengte der niedersächsische Verfassungsschutz ein Loch in die Mauer der Justizvollzugsanstalt Celle, um einen Befreiungsversuch vorzutäuschen und seinem V-Mann eine Legende für den Einstieg in die Szene zu verschaffen.«
»Alle Achtung«, sagte Niemeyer anerkennend. »Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht.«
»Altes Wissen aufgefrischt, würde ich sagen. Wie die Tatsache, dass in Italien der Christdemokrat Aldo Moro just zu dem Zeitpunkt von den Roten Brigaden entführt wurde, als er eine Koalition mit den Kommunisten schließen wollte. Moro wurde ermordet und die Koalition kam nicht zustande, zur Freude der italienischen Geheimdienste.«
»Deutschland ist nicht Italien.«
»Nein«, sagte ich. »Deutschlands Ermittlungsbehörden sind ja bekannt für ihre Effizienz. Deshalb ist es umso unerklärlicher, warum bis heute im Dunkeln liegt, wo die dritte Generation der RAF gelebt hat und wovon. Sie konnten ja keine Lohnsteuerkarten beantragen oder sich selbstständig machen. Wieso ist keine einzige konspirative Wohnung entdeckt worden, wieso kein einziges Erddepot mit Waffen und Papieren? Und vor allem, das ist für mich die entscheidende Frage: Wieso hat die dritte Generation mit dem bewaffneten Kampf weitergemacht, obwohl doch jedem denkenden Menschen klar gewesen sein musste, dass er aussichtslos war?« Ich machte eine Pause. »Es sei denn, es gab Kräfte, die die RAF instrumentalisiert haben.«
Erneut schwieg die Kommissarin lange. Dann sagte sie: »Solche Fragen kann man tatsächlich stellen. Und ich versichere Ihnen, dass es Leute bei der Polizei und den übergeordneten Behörden gibt, die sie stellen. Es ist nicht auszuschließen, dass es einzelne Beamte, vielleicht sogar ganze Abteilungen gegeben hat, die sich schützend vor die RAF gestellt haben.«
»Auf Anweisung von oben?«
»Davon gehe ich nicht aus.«
»Musste Peter Fahle alias Thomas Berning
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