Wilsberg 17 - Wilsberg und die dritte Generation
was mir ziemlich unsinnig erschien, weil es dort keine Tür gab. Es sei denn, sie wollten mich stilecht an die Wand stellen und standrechtlich erschießen.
Aber dann gab es doch eine Tür. Einer der Wachmänner schob ein Regal zur Seite und öffnete eine so fugendicht in die Wand eingelassene und im selben Betongrau gestrichene Tür, dass sie aus zwei Metern Entfernung mit bloßem Auge nicht zu erkennen war. Möglicherweise war es auch eine Fantasie von mir, durch Wände gehen zu können.
Eine Eigenschaft, die ich gerne besessen hätte, nachdem ich auf der anderen Seite der Tür eingeschlossen war. Die Zelle, in der ich stand, war nur etwa ein Drittel so groß wie die Gefängniszelle in Münster.
Außerhalb jeglicher Rechtsordnungen hatte sich die Altherrenriege ein hübsches kleines Privatgefängnis für feindliche Kämpfer gebaut, so was wie das Guantánamo von Everskirchen.
Immerhin enthielt die fensterlose Schachtel eine Pritsche, eine Kloschüssel und ein Waschbecken. Ich stützte mich auf das Waschbecken und drehte den Wasserhahn auf. Die Flüssigkeit, die herauskam, sah aus und roch wie Leitungswasser. Ich hielt den Kopf unter den Hahn und schluckte etwa einen Liter. Dann benutzte ich die Kloschüssel für den umgekehrten biologischen Vorgang. Dabei kam mir eine Idee.
Meine Chancen, lebend und halbwegs unversehrt aus der Sache herauszukommen, waren nicht allzu groß. Wenn überhaupt, hatte ich nur einen Versuch, die Wachleute zu überrumpeln. Aber der wollte gut arrangiert sein. Und dazu musste ich erst einmal in eine bessere körperliche Verfassung kommen.
Ich zwang mich, die drei Schritte, die ich in der Zelle machen konnte, beständig auf und ab zu laufen. Zuerst war es mühsam, dann klappte es besser. Die Wirkung des Serums ließ langsam nach, ich konnte wieder klarer sehen und denken.
Als ich mich beinahe wieder richtig fit fühlte, ging ich zu Phase zwei meines Plans über. Der bestand darin, dass ich mein Ohr gegen die Tür drückte. Ich ging davon aus, dass die Wachleute noch einmal auftauchen würden, entweder um mich abzuholen oder um mir etwas Essbares zu bringen. Falls man mich in der Zelle vermodern lassen wollte, hätte ich Pech gehabt.
Doch ich hatte Glück. Nach einiger Zeit hörte ich Geräusche aus der Lagerhalle. Sofort kniete ich mich vor die Kloschüssel. Als sich der Schlüssel im Schloss drehte, holte ich tief Luft und steckte den Kopf so tief in die Schüssel, dass sich Mund und Nase unter Wasser befanden. Den Rest des Oberkörpers und die Arme ließ ich schlaff über das Porzellangestell hängen.
Etwas fiel zu Boden. Die Stimme des Wachmanns klang verzerrt: »Hey, was ist das denn? Du, ich glaub, der hat sich umgebracht.«
»Red kein Scheiß!«, sagte der andere.
Eine Hand packte den Kragen meiner Jacke und zog mich hoch. Darauf hatte ich gewartet. Ich ließ mich nach hinten fallen, rollte mich auf dem Rücken ab und trat gleichzeitig mit den Füßen nach oben. Eine Schuhspitze traf den Wachmann voll im Gesicht. Der Kerl heulte auf und taumelte zur Seite. Ich sprang auf die Beine. Der andere Wachmann nestelte am Sicherheitshebel seiner Pistole. Brüllend und mit dem Kopf voraus rannte ich auf ihn zu, versetzte ihm einen Stoß gegen das Brustbein, sodass er vor Schmerz aufschrie und zurücktaumelte. Ich blieb dran, schubste ihn vor mir her, bis er über einen Gartenstuhl stolperte und endgültig das Gleichgewicht verlor. Er versuchte, sich am Stuhl festzuhalten, doch der Stuhl kippte mit ihm um. Im Fallen glotzte er mich wütend an. Da wusste er noch nicht, dass er im nächsten Moment mit dem Hinterkopf gegen die Kante einer Tischplatte knallen würde. Schlagartig gingen bei ihm die Lichter aus, die Pistole kullerte auf den Betonboden. Der Typ war erledigt.
Ich schnappte mir mein Handy, das auf dem Tisch lag, und rannte zur Außentür.
»Stehen bleiben!«
Ich schaute über die Schulter. Wachmann Nummer eins hatte sich gefangen und zielte mit der Pistole in meine Richtung. Ich rannte weiter. Eine Kugel pfiff an meinem Kopf vorbei. Ich erreichte die Tür. Eine zweite Kugel bohrte sich in die Wand direkt neben meinem Kopf. Ich zog die Tür von außen zu. Der Schlüssel steckte. Dumme Angewohnheit. Ich schloss ab. Viel brachte das nicht. Der Wachmann konnte per Sprechfunk oder Handy Verstärkung rufen, aber einen kleinen Vorsprung verschaffte es mir auf jeden Fall.
Ich lief zum Zaun. Es war immer noch oder schon wieder Nacht, ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit seit meiner
Weitere Kostenlose Bücher