Wimsey 04 - Der Mann mit dem Kuperfingern
diesem sonnenlosen grauen Nachmittag einen traurigen Anblick. Die gegipsten Wände, die bis auf halbe Höhe von Bücherregalen verdeckt waren, reichten bis zu einer schimmligen Decke hinauf. Grotesk geformte Nässeflecken zierten sie, und da und dort waren häßliche Risse, wo der Gips in gelben Flocken abblätterte. Eine feuchte Kühle entströmte den Büchern, den sich abschälenden Lederrücken, den grünlichen Schimmelflecken, die sich grausig von einem Band über den andern ausbreiteten. Der eigenartige Modergeruch faulenden Leders und nassen Papiers verschlimmerte die ohnehin schon freudlose Atmosphäre dieses Ortes.
«Mein Gott», entfuhr es Wimsey, während er sich todtraurig in diesem Grabgewölbe vergessener Gelehrsamkeit umschaute. Mit seinen hochgezogenen Schultern, die aussahen wie die Halsfedern eines frierenden Vogels, der langen Nase und den halbgeschlossenen Augen ähnelte er einem verwahrlosten Reiher, der grübelnd vor der Leblosigkeit eines winterlichen Tümpels steht.
«Wie kalt das hier ist!» rief Mrs. Hancock. «Sie sollten wirklich einmal mit Mrs. Lovall schelten, Mr. Burdock. Als ihr aufgetragen wurde, hier nach dem Rechten zu sehen, habe ich gleich zu meinem Mann gesagt – nicht wahr, Philip? –, daß Ihr Vater sich die faulste Frau in ganz Little Doddering ausgesucht hat. Sie hätte doch hier mindestens zweimal die Woche ein kräftiges Feuer machen müssen! Es ist wahrhaftig eine Schande, wie sie hier alles hat verkommen lassen.»
«Ja, nicht?» pflichtete Haviland ihr bei.
Wimsey sagte nichts. Er schlenderte an den Regalen entlang und nahm hin und wieder ein Buch herunter, um es sich anzusehen.
«Dieser Raum war schon früher sehr bedrückend», fuhr Haviland fort. «Ich weiß noch, daß er mir als Kind etwas Angst machte. Martin und ich haben hier zwar immer in den Büchern herumgeschmökert, aber ich glaube, wir hatten jedesmal Angst, irgend etwas oder jemand könnte uns aus den dunklen Ecken anspringen. Was haben Sie denn da, Lord Peter? Ach so, Foxes Buch der Märtyrer. Du lieber Gott! Wie mir früher immer vor den Bildern gegraut hat! Und Pilgers Wanderfahrt war dabei, mit einem ausgesprochen grusligen Bild des breitbeinig über dem ganzen Weg stehenden Apollyon, von dem ich nachts Alpträume hatte. Mal sehen. Es stand immer hier in dieser Nische, glaube ich. Ja, da ist es. Wie das doch die alten Zeiten wieder zurückbringt! Ist es übrigens wertvoll?»
«Nein, nicht besonders. Aber diese Erstausgabe von Burton ist Geld wert; allerdings furchtbar fleckig – Sie sollten sie mal zum Reinigen weggeben. Und das hier ist ein außerordentlich schöner Boccaccio; geben Sie gut darauf acht.»
«Giovanni Boccaccio – Danse Macabre. Jedenfalls ein guter Titel. Ist das derselbe Boccaccio, der die ungezogenen Geschichten geschrieben hat?»
«Ja», sagte Wimsey ein wenig kurz angebunden. Er konnte es nicht leiden, wenn einer so über Boccaccio sprach.
«Hab sie ja nie gelesen», erklärte Haviland mit einem augenzwinkernden Blick zu seiner Frau, «aber ich hab sie in den Schaufenstern von so gewissen Läden stehen sehen – daher nehme ich an, daß sie es in sich haben, wie? Der Pfarrer macht schon ein ganz schockiertes Gesicht.»
«Oh, nicht im mindesten», erklärte Mr. Hancock mit gewissenhaft an den Tag gelegter Weltoffenheit. « Et ego in Arcadia – das heißt, man kommt nicht ohne klassische Ausbildung in den Kirchendienst, und dabei macht man Bekanntschaft mit noch viel weltlicheren Autoren als selbst Boccaccio. Diese Holzschnitte erscheinen meinem ungeübten Auge sehr schön.»
«Das sind sie auch», sagte Wimsey.
«Ich erinnere mich da noch an ein anderes altes Buch mit herrlichen Bildern», sagte Haviland. «Irgendeine Chronik – was war das noch für ein Name –, eine Stadt in Deutschland – Sie wissen es sicher –, woher dieser Henker kam. Neulich haben sie doch sein Tagebuch veröffentlicht. Ich hab’s gelesen, aber es war eigentlich gar nicht so aufregend; nicht halb so grausam wie der alte Harrison Ainsworth. Wie heißt denn nur noch diese Stadt?»
«Nürnberg?» soufflierte Wimsey.
«Natürlich, das ist es – die Nürnberger Bilderbogen. Ob das wohl noch an seinem alten Platz steht? Es stand immer hier drüben beim Fenster, wenn ich mich recht erinnere.»
Er ging voran in eine der Nischen, die sich bis dicht zum Fenster hinzog. Hier schien die Feuchtigkeit ihr schlimmstes Werk verrichtet zu haben. Eine Scheibe war zerborsten, und es hatte
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