Wimsey 04 - Der Mann mit dem Kuperfingern
unerwartet aus einem tiefen Sessel ein großer, hagerer Mann und kam ihm entgegen.
«Ruhig Blut, alter Freund!»
«Großer Gott!» stieß Haviland hervor, indem er einen Schritt zurückwich und schwer auf Wimseys Zehen landete. «Martin!»
«Jawohl», sagte der andere. «Hier bin ich. Zurückgekommen wie ein falscher Fünfziger. Wie geht’s dir so?»
«Dann steckst du also dahinter!» tobte Haviland. «Das hätte ich mir ja denken können. Du dreckiger Köter! Du findest es wohl noch anständig, wie, deinen Vater aus dem Sarg zu reißen und wie ein Zirkus mit ihm durch die Gegend zu ziehen! Eine Schande ist das. Widerlich. Abscheulich. Du kannst ja keinen Funken Anstand mehr besitzen. Oder wirst du es am Ende leugnen wollen?»
«Hören Sie mal, Burdock!» begehrte Mortimer auf.
«Sie halten den Mund, verdammt noch mal!» versetzte Haviland. «Zu Ihnen komme ich gleich. Jetzt hör mal zu, Martin, ich werde diesem schändlichen Treiben nicht länger zusehen. Du gibst jetzt die Leiche heraus und –»
«Einen Moment, einen Moment», sagte Martin. Er stand lächelnd da, die Hände in die Taschen seines Smokings geschoben. «Dieses éclaircissement scheint sich ja zu einer ziemlich öffentlichen Veranstaltung zu entwickeln. Wer sind diese Leute alle? Oh, ich sehe schon, der Pfarrer ist dabei. Ihnen schulden wir wohl eine Erklärung, Herr Pfarrer. Und, äh – »
«Das ist Lord Peter Wimsey», sprach Mr. Frobisher-Pym dazwischen, «der Ihr – ich muß es leider mit Ihrem Bruder so nennen, Burdock –, der Ihr schändliches Treiben entdeckt hat.»
«Ach du lieber Gott!» rief Martin. «Sagen Sie, Mortimer, Sie wußten wohl nicht, daß Sie es mit Lord Peter Wimsey zu tun hatten, wie? Kein Wunder, daß die Katze so schnell aus dem Sack ist. Der Mann ist als der reinste Sherlock Holmes bekannt. Jedenfalls scheine ich genau im entscheidenden Moment nach Hause gekommen zu sein, so daß wohl noch kein Schaden entstanden ist. Diana, das ist Lord Peter Wimsey. Meine Frau.»
Eine hübsche junge Frau im schwarzen Abendkleid begrüßte Wimsey mit scheuem Lächeln und wandte sich abbittend an ihren Schwager.
«Haviland, wir möchten dir erklären –»
Er beachtete sie nicht.
«Also, Martin, das Spiel ist aus!»
«Das glaube ich auch, Haviland. Aber wozu die ganze Aufregung?»
«Aufregung! Das habe ich gern! Du reißt die Leiche deines eigenen Vaters aus dem Sarg –»
«Nein, nein, Haviland! Davon wußte ich nichts. Das schwöre ich dir. Ich habe die Nachricht von Vaters Tod erst vor ein paar Tagen erhalten. Wir waren weit draußen in der Wildnis – in den Pyrenäen, wo wir einen Film drehten –, und ich bin sofort hergekommen, sowie ich mich freimachen konnte. Mortimer hat das ganze Ding mit Rawlinson und Hubbard allein gedreht. Ich wußte überhaupt nichts davon, bis ich gestern in meiner alten Bleibe in Paris seinen Brief vorfand. Wirklich, Haviland, ich hatte nichts damit zu tun. Wozu auch? Das hätte ich doch nicht nötig gehabt.»
«Was soll das heißen?»
«Nun, wenn ich hiergewesen wäre, hätte ich nur ein Wort zu sagen brauchen, um das Begräbnis zu verhindern. Warum in aller Welt hätte ich mir die Mühe machen und die Leiche stehlen sollen? Ganz abgesehen von der Respektlosigkeit und so weiter. Darum war ich auch zuerst ein bißchen entsetzt, als Mortimer mir davon erzählte, das muß ich schon sagen, aber ich muß auch die Freundlichkeit und die Mühe anerkennen, die sie sich meinetwegen gemacht haben. Ich glaube, Mr. Hancock hat eigentlich den meisten Grund zum Zorn. Aber Mortimer ist so behutsam vorgegangen wie möglich, Sir – wirklich. Er hat den Alten Herrn ganz ehrerbietig und sittsam in der früheren alten Kapelle aufgebahrt und sogar Blumen ringsum aufgestellt und so weiter. Sie werden sicher sehr zufrieden sein.»
«Ja», sagte Mortimer. «Respektlosigkeit war nicht meine Absicht. Kommen Sie, sehen Sie ihn sich an.»
«Das ist ja furchtbar», stöhnte der Pfarrer hilflos.
«Verstehen Sie bitte, die Leute haben in meiner Abwesenheit nur getan, was sie konnten», sagte Martin. «Sowie ich dazu in der Lage bin, werde ich geeignete Anordnungen für ein passendes Grabgewölbe treffen – über der Erde, versteht sich. Oder vielleicht wäre in diesem Falle eine Einäscherung angebracht.»
«Was!» schrie Haviland. «Glaubst du vielleicht, ich werde es zulassen, daß mein Vater unbeerdigt bleibt, nur wegen deiner abstoßenden Geldgier?»
«Mein Lieber, glaubst du vielleicht, ich lasse zu,
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