Wimsey 04 - Der Mann mit dem Kuperfingern
wahr?»
«Na und?»
«Na ja, und ich könnte dann gefragt werden, wie lange das Testament sich wohl schon an der Stelle befunden hat, an der ich es fand.»
Haviland schien an etwas schlucken zu müssen, was ihm die Sprache verschlug.
«Was soll das heißen, verdammt noch mal?»
«Tja, sehen Sie mal, das ist doch ziemlich merkwürdig, wenn man sich’s überlegt. Ich meine, Ihr verstorbener Vater muß das Testament ja auf dem Bücherregal versteckt haben, bevor er ins Ausland ging. Das ist – wie lange her? Drei Jahre? Fünf Jahre?»
«Ungefähr vier Jahre.»
«Eben. Und seitdem hat Ihre prächtige Hausverwalterin die Nässe in die Bibliothek eindringen lassen, nicht wahr? Kein Feuer, die Fenster zerborsten und so weiter. Ruinös für die Bücher und sehr bedrückend für jemanden wie mich. Ach ja. Und nun nehmen wir einmal an, es würde die Frage nach dem Testament gestellt – und Sie sagen, es hat sich vier Jahre lang dort in der Nässe befunden. Würden die Leute es nicht ein bißchen komisch finden, wenn ich ihnen sagen müßte, daß sich an der Wand neben dem Bücherregal ein großer Nässefleck in Form eines grinsenden Gesichts befindet und ein entsprechendes großes, nasses, grinsendes Gesicht auf den Nürnberger Bilderbogen, aber kein derartiger Fleck auf dem Testament, das vier Jahre lang zwischen den beiden gesteckt hat?»
Mrs. Haviland stieß plötzlich einen spitzen Schrei aus. «Haviland, du Dummkopf! Du Riesendummkopf!»
«Halt den Mund!»
Haviland fuhr mit einem Wutschrei zu seiner Frau herum, die auf einen Sessel sank und sich die Hand vor den Mund preßte.
«Danke, Winnie», sagte Martin. «Nein, Haviland, bemühe dich nicht um eine Erklärung. Winnie hat alles verraten. Du wußtest es also – du kanntest das Testament und hast es absichtlich versteckt und das Begräbnis seinen Gang nehmen lassen. Ich bin euch beiden sehr verbunden – fast so sehr wie dem ach so diskreten Mr. Graham. Ist es eigentlich Betrug oder Untreue oder was, ein Testament zu verstecken? Mr. FrobisherPym weiß das sicher.»
«Großer Gott!» entfuhr es dem Friedensrichter. «Sind Sie sich Ihrer Feststellungen auch ganz sicher, Wimsey?»
«Absolut», sagte Wimsey, indem er die Nürnberger Bilderbogen unter dem Arm hervornahm. «Hier ist der Fleck – sehen Sie selbst. Entschuldigen Sie, daß ich mir Ihr Eigentum kurz ausgeliehen habe, Mr. Burdock. Ich fürchtete nämlich, Mr. Haviland könnte zu stiller nächtlicher Stunde auf diese kleine Unstimmigkeit stoßen und sich rasch entschließen, die Bilderbogen zu verkaufen oder zu verschenken, oder gar finden, daß sie ohne Einband und hintere Seiten besser aussähen. Gestatten Sie, daß ich sie Ihnen zurückgebe, Mr. Martin – unversehrt. Sie werden es mir vielleicht nachsehen, wenn ich sage, daß ich keine der Rollen in diesem Melodram sonderlich schätze. Es wirft, wie Mr. Pecksniff sagen würde, ein betrübliches Licht auf die menschliche Natur. Aber ich habe etwas gegen die Art und Weise, wie ich zu diesem Bücherregal geködert und in die schöne Rolle des unabhängigen Zeugen gedrängt wurde, der das Testament fand. Ich mag ja ein Esel sein, Mr. Haviland Burdock, aber so ein dummer Esel auch wieder nicht. Gute Nacht allerseits. Ich warte draußen im Wagen, bis Sie hier mit allem fertig sind.»
Wimsey stolzierte würdevoll hinaus.
Kurz darauf folgten ihm der Pfarrer und Mr. Frobisher-Pym.
«Mortimer bringt Haviland und seine Frau zum Bahnhof», sagte der Friedensrichter. «Sie fahren sofort nach London zurück. Sie können ihnen das Gepäck morgen nachschicken, Hancock. Wir machen uns jetzt lieber aus dem Staub.»
Wimsey drückte auf den Starter.
In dem Moment kam ein Mann die Treppe heruntergerannt und auf ihn zu. Es war Martin.
«Wissen Sie», sagte er, «Sie haben mir etwas sehr Gutes getan – mehr als ich verdiene. Sie müssen mich für ein Schwein halten. Aber ich werde dafür sorgen, daß der alte Herr anständig beigesetzt wird, und ich werde mit Haviland teilen. Sie dürfen auch über ihn nicht allzu hart urteilen. Er hat so eine schreckliche Frau. Sie hat ihn bis über beide Ohren in Schulden gestürzt. Sein Geschäft ruiniert. Ich will dafür sorgen, daß alles in Ordnung kommt. Gut so? Ich möchte nicht, daß Sie eine gar zu schlechte Meinung von uns mitnehmen.»
«Schon gut», sagte Wimsey.
Er ließ die Kupplung kommen und verschwand im feuchten, weißen Nebel.
7
Die rachsüchtige Geschichte von den vernehmlichen Schritten
Mr. Bunter
Weitere Kostenlose Bücher