Wimsey 04 - Der Mann mit dem Kuperfingern
Auffassung von den Aufgaben der Frau im Haus zu haben. Das hier über uns ist sicher das Schlafzimmer, ja?»
Hartman sah Lord Peter einigermaßen überrascht an. «Entschuldigen Sie meine eklige Neugier, altes Haus», sagte Wimsey. «Schlechte Angewohnheit. Geht mich ja nichts an.» «Aber woher wissen Sie –?»
«Geraten», antwortete Wimsey mit entwaffnender Ehrlichkeit. «Ich habe das Quietschen eines eisernen Bettgestells gehört, dann ein Plumpsen, als ob ein schwerer Mann herausgestiegen wäre, aber es könnte natürlich auch eine Couch oder etwas Ähnliches gewesen sein. Jedenfalls ist er in der letzten halben Stunde mit bestrumpften Füßen auf diesen paar Metern da herumgelaufen, während die Frau schon die ganze Zeit, seit wir hier sind, auf hohen Absätzen zwischen Küche und Wohnzimmer hin und her klappert. Daher meine Schlüsse auf die häuslichen Gewohnheiten Ihrer Obermieter.»
«Und ich dachte, Sie hätten meinen lichtvollen Ausführungen über die wohltätige Wirkung des Vitamin B und Linds Skorbutbehandlung mit frischen Zitronen im Jahre 1755 gelauscht», sagte der Arzt gekränkt.
«Habe ich auch», versicherte Lord Peter eilig, «nur habe ich die Schritte eben auch gehört. Der Kerl ist einmal in die Küche getapst – aber nur um Streichhölzer zu holen; dann ist er ab ins Wohnzimmer und überläßt die Verrichtung der wirklich nützlichen Arbeiten ihr. Was wollte ich vorhin sagen? Ach ja. Sie sehen also, wie ich schon vorhin bemerkte, daß man irgend etwas sieht oder hört, ohne sich dessen bewußt zu sein oder sich gar Gedanken darüber zu machen. Hinterher beginnt man dann zu meditieren, und auf einmal ist alles wieder da, so daß man seine Eindrücke irgendwo einordnen kann. Das ist wie mit Bunters fotografischen Platten. Das vollständige Bild ist da, lla- … wie heißt dieses Wort noch, Bunter?»
«Latent, Mylord.»
«Richtig. Bunter ist meine rechte Hand; ohne ihn wäre ich vollkommen hilflos. Das Bild ist latent da, bis man den Entwickler einwirken läßt. Genauso ist es mit dem Gehirn. Alles ohne Netz und doppelten Boden. Kleine graue Zellen sind alles, was man braucht, um sich an etwas zu erinnern. Nur um meine Neugier zu befriedigen: Hatte ich mit den Leuten über Ihnen recht?»
«Vollkommen. Der Mann ist Kontrolleur beim Gaswerk. Ein bißchen mürrisch, aber seiner Frau – auf seine Art – sehr zugetan. Das heißt, es macht ihm gar nichts aus, den ganzen Sonntagmorgen faul im Bett zu liegen und alle Arbeit ihr zu überlassen, aber von allem Geld, das er erübrigen kann, kauft er ihr schöne Hüte und Pelzmäntel und was weiß ich. Sie sind erst seit ungefähr einem halben Jahr verheiratet. Im Frühling haben sie mich mal gerufen, als sie eine kleine Grippe hatte, und da war er fast von Sinnen vor Angst um sie. Sie ist ein hübsches kleines Ding, muß ich sagen – Italienerin. Soviel ich weiß, hat er sie sich in einem Restaurant in Soho angelacht.
Prachtvolle dunkle Haare und Augen; eine Figur wie eine Venus, an allen Stellen die richtigen Konturen; wunderschöne Haut und so weiter. Solange sie in diesem Lokal arbeitete, muß sie dort so eine Art Zugpferd gewesen sein. Sehr lebenslustig.
Einmal war ein früherer Verehrer von ihr hier – unsympathischer kleiner Italiener mit Messer –, flink wie ein Affe. Hätte unangenehm werden können, aber zufällig war ich zur Stelle, und ihr Mann kam auch dazu. In diesen Straßen hier gehen die Leute immerzu aufeinander los. Das ist natürlich gut fürs Geschäft, aber man wird es langsam auch leid, ewig Schädelbrüche und Stiche in den Hals zu flicken. Immerhin bin ich der Meinung, die Kleine kann ja nichts dafür, daß sie hübsch ist, obschon ich auch wieder nicht behaupten kann, daß sie in ihrer Art direkt unnahbar wäre. Trotzdem hat sie aber ihren Brotherton – so heißt er nämlich – richtig gern, glaube ich.»
Wimsey nickte abwesend. «Das Leben ist wohl hier ein bißchen eintönig», meinte er.
«Beruflich gesehen, ja. Geburten, Trunkenheit und verprügelte Ehefrauen sind mein täglich Brot. Und natürlich die üblichen Wehwehchen. Zur Zeit lebe ich hauptsächlich von Kinderdurchfall – kein Wunder bei dieser Hitze. Im Herbst kommen dann Grippe und Husten an die Reihe. Hier und da habe ich mal eine Lungenentzündung. Natürlich auch Wasserbeine und Krampfadern – mein Gott!» brach es plötzlich aus dem Arzt heraus.
«Wenn ich doch nur hier aufhören und meine Experimente machen könnte!»
«Ja!» sagte Peter.
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