Wimsey 07 - Fünf falsche Fährten
Mr. Farren sein Fahrrad bei sich hat?»
«Soviel ich weiß, ja. Warum nicht? Er – ist damit weggefahren. Aber – das weiß ich natürlich nicht – er könnte es irgendwo liegengelassen haben – wie soll ich das wissen? Es könnte ihm auch seit Montag gestohlen worden sein, irgendwo, von irgendwem. Ich – haben Sie es denn irgendwo gefunden?»
Sie stammelte und stotterte unter Dalziels festem Blick.
«Ich möchte wetten», sagte Dalziel zu sich selbst, «sie weiß genau, daß es mit dem Fahrrad etwas Wichtiges auf sich hat, aber sie weiß nicht, ob sie sagen soll, daß ihr Mann es bei sich hat. Wer könnte ihr das gesagt haben? Lord Peter sicher nicht, denn dazu ist er bei all seinem vielen Gerede zu intelligent. Und MacPherson auch nicht, der würde kein Sterbenswörtchen verraten. Aber irgendwer rechnet anscheinend damit, daß dieses Fahrrad irgendwo an einem merkwürdigen Ort auftaucht, darauf möchte ich wetten.»
Jeanie wußte über das Fahrrad in der Tat so wenig, wie zu erwarten gewesen war, und konnte auch sonst nichts beisteuern, außer daß Mr. Farren sich um die Fahrräder selbst zu kümmern pflegte und «sich ganz schön Arbeit damit» machte. Ein Mann, der offenbar sein Werkzeug in Ordnung hielt und es in bestimmten Dingen sehr genau nahm, obwohl er ein Künstler war.
Ein Fahrradgeschäft in der Stadt konnte besser helfen. Es handle sich um ein Raleigh-Fahrrad, nicht mehr neu, aber in sehr gutem Zustand, schwarz mit verchromter Lenkstange. Erst vor ein paar Wochen habe man in dem Laden einen neuen Dunlop-Reifen aufs Hinterrad montiert; der Vorderreifen sei von derselben Marke und ungefähr ein halbes Jahr alt. Klingel, Bremsen, Lampen und Gabeln seien in einwandfreiem Zustand.
Mit diesen Angaben bewaffnet, begab sich der Sergeant zum Bahnhof Girvan. Hier traf er den zuständigen Bahnbeamten an, einen Mann mittleren Alters mit Namen McSkimming, der ihm etwas detaillierter die Geschichte wiederholte, die er bereits dem Bahnhofsvorsteher erzählt hatte.
Der Zug aus Stranraer treffe fahrplanmäßig um 13 Uhr 06 ein, und an dem betreffenden Dienstag sei er sehr pünktlich gekommen. Eben sei er in den Bahnhof eingefahren, als ein Herr sehr eilig gekommen sei, der ein Fahrrad führte. Er habe McSkimming zu sich gerufen, und dabei sei ihm der hohe, affektierte englische Tonfall aufgefallen. Der Mann habe ihn beauftragt, das Fahrrad schnell als Reisegepäck nach Ayr aufzugeben, und er habe es daraufhin zu dem Kästchen geschoben, in dem die Gepäckanhänger lägen. Während er den Anhänger ausgefüllt habe, sei der Mann gekommen und habe einen Riemen gelöst, mit dem eine Ledertasche auf dem Gepäckträger festgeschnallt gewesen sei, wobei er gesagt habe, er wolle sie mit ins Abteil nehmen. Da die Zeit knapp gewesen sei, habe er eine Geldbörse aus der Tasche genommen und McSkimming losgeschickt, ihm eine Fahrkarte dritter Klasse und einen Gepäckschein für das Fahrrad nach Ayr zu besorgen. Als er mit den Billetts zurückgeeilt sei, habe er seinen Fahrgast an der Tür eines Raucherabteils in der dritten Klasse stehen sehen. Er habe ihm die Karten überreicht, sein Trinkgeld in Empfang genommen und das Fahrrad im Gepäckwagen verstaut. Unmittelbar darauf sei der Zug abgefahren.
Nein, auf das Gesicht des Mannes habe er nicht besonders geachtet. Er habe einen grauen Flanellanzug und eine karierte Mütze angehabt und sei sich immer wieder mit dem Taschentuch durchs Gesicht gefahren, als ob er vom Radfahren in der Sonne sehr erhitzt gewesen sei. Bei der Übergabe des Trinkgeldes habe er ungefähr gesagt, daß er froh sei, den Zug noch erreicht zu haben, und es sei doch von Ballantrae ein strammes Stück. Er habe eine leicht getönte Brille aufgehabt – so eine, wie man sie zum Schutz der Augen vor der grellen Sonne trage. Vielleicht sei er glattrasiert gewesen, vielleicht habe er aber auch einen kleinen Schnurrbart gehabt. McSkimming habe keine Zeit gehabt, sich solche Einzelheiten zu merken, außerdem habe er an dem Tag furchtbare Leibschmerzen gehabt und sich sehr unwohl gefühlt. Heute fühle er sich eher noch schlechter als besser, und ob das Herumschleppen schwerer Gepäckstücke dafür gut sei, wisse er auch nicht.
Dalziel bedauerte ihn und fragte, ob er glaube, den Mann und das Fahrrad wiedererkennen zu können, wenn er sie sähe.
Das wisse er nicht – er glaube nein. Das Fahrrad sei alt und verstaubt gewesen. Die Marke habe er sich nicht gemerkt. So was gehe ihn nichts an. Seine Aufgabe
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