Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde
verschiedenen kleinen Balkanländern ab, deren Lage ungenau beschrieben war und die auch außerhalb der eigenen Grenzen niemand kannte. Kein Lesestoff hätte der Entlastung des Unterbewußtseins dienlicher sein können, und dennoch weigerte sich dieses Unterbewußtsein, an die Arbeit zu gehen. Harriet stöhnte innerlich und ging zu Kreuzworträtseln über, wobei sie sich eines Lexikons bediente, das sie auf dem Regal gefunden hatte, eingezwängt zwischen einem in Papier eingeschlagenen Buch in russischen Lettern und Griff nach der Krone.
Lord Peter Wimsey hatte inzwischen auch etwas zu lesen, und es beschäftigte sein Bewußtsein wie auch sein Unterbewußtsein auf angenehmste Weise. Es war ein Brief aus Leamhurst in Huntingdonshire, und er lautete folgendermaßen:
»Mylord,
gemäß den mir von Eurer Lordschaft gegebenen Instruktionen habe ich mich für die Dauer der Reparatur meines Magnetzünders hier für einige Tage einquartiert. Ich habe freundschaftliche Beziehungen zu einem Individuum namens Hogben angeknüpft, der einen Mähdrescher besitzt und die größeren Landwirte in der Umgebung gut kennt. Von ihm konnte ich in Erfahrung bringen, daß Mr. Henry Weldons Verhältnisse als ein wenig angespannt gelten und sein Hof (Vierwege) mit einer hohen Hypothek belastet ist. Es heißt, er habe in den letzten ein, zwei Jahren im Vorgriff auf seine Erbschaftserwartungen örtlich mehrere Kredite aufgenommen, aber angesichts der Tatsache, daß seine Mutter ihn in letzter Zeit nicht mehr besucht hat und Gerüchte im Umlauf sind, wonach die Beziehungen zwischen ihm und ihr gespannt sein sollen, macht sich in bezug auf den Wert jener angenom menen Sicherheit ein gewisses Unbehagen breit. Die Wirtschaft wird zur Zeit von einem gewissen Walter Morrison geführt, dem Großknecht, einem Mann von nicht sehr großen Fähigkeiten, der im Grunde nicht mehr ist als ein besserer Landarbeiter und nur über einseitige Erfahrung verfügt. Man findet es hier merkwürdig, daß Mr. Weldon gerade um diese Zeit den Hof alleinläßt. Im Hinblick auf das Telegramm vom vergangenen Mittwoch, in dem Eure Lordschaft mich von der Identifizierung Mr. Henry Weldons als Mr. Haviland Martin in Kenntnis setzten, brauche ich Eurer Lordschaft nicht erst zu sagen, daß Mr. Henry Weldon am Sonntag, dem 14. Juni, hier weggefahren und am Sonntag, dem 21. Juni wiedergekommen ist, um gleich am nächsten Morgen früh wieder aufzubrechen. Es hat in letzter Zeit Schwierigkeiten und Verzögerungen bei der Bezahlung der Landarbeiter gegeben, was zum Teil der Grund dafür ist, daß es Morrison nicht leichtfällt, das Heu einzufahren. Ich höre, daß es mit den Hypothekaren auch schon Ärger wegen des Erhaltungszustands der landwirtschaftlichen Gebäude, Deiche, Hecken und so weiter gegeben hat. Daraufhin habe ich einen Ausflug zum Vierwegehof unternommen, um mir das Anwesen einmal mit eigenen Augen anzusehen. Ich fand den Zustand wie geschildert. Viele Mauern und Scheunen sind stark verfallen, die Hecken, Zäune und Gräben um die Wiesen und Felder sind mangelhaft gepflegt und löchrig. Auch die Entwässerung (die, wie Eure Lordschaft wissen, in diesem Landesteil von überragender Bedeutung ist) läßt an manchen Stellen sehr zu wünschen übrig. Insbesondere, so hat man mir erzählt, stand eine große Wiese (bekannt als 24-Morgen-Wiese) den ganzen Winter unter Wasser. Im vorigen Sommer wurde zwar mit Vorbereitungen für die Entwässerung dieses Grundstücks begonnen, aber diese gelangten über den Ankauf der erforderlichen Menge von Drainagerohren nicht hinaus, da die Lohnkosten dem Fortgang der Arbeiten im Wege standen. Infolgedessen ist dieses Stück Land (das an die Marschen grenzt) zur Zeit sauer und unbrauchbar.
Persönlich scheint Mr. Weldon in der Gegend wohlgelitten zu sein, obwohl man ihm nachsagt, daß er zu sehr hinter den Frauen her ist. Er gilt als Sportsmann und wird regelmäßig in Newmarket gesehen. Es geht auch das Gerücht, daß er in Cambridge eine Dame in einem sehr feinen Appartement aushält. Mr. Weldon gilt als erfahrener Mann im Umgang mit Tieren, während er vom Ackerbau an scheinend wenig versteht oder hält.
Sein Haushalt wird von einem älteren Ehepaar geführt, das zugleich die Funktionen eines Melkers und der Milchmagd ausübt. Es scheinen hochanständige Leute zu sein, und aus dem Gespräch, das ich mit der Frau führte, als ich sie um ein Glas Milch bat, habe ich den Eindruck gewonnen, daß beide ehrlich sind und nichts zu verbergen
Weitere Kostenlose Bücher