Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde
haben.
Sie sagte mir, daß Mr. Weldon, wenn er zu Hause ist, ein ruhiges und zurückgezogenes Leben führt.
Besuch erhält er kaum, außer von den hiesigen Bauern.
In den sechs Jahren, seit diese Leute bei ihm arbeiten, hat seine Mutter ihn insgesamt dreimal besucht (aber alle Besuche fanden während der ersten zwei Jahre statt). Zweimal hatte er auch Besuch aus London, und zwar von einem kleinwüchsigen Herrn mit Bart, der meinen Gewährsleuten zufolge ein körperliches Gebrechen haben soll. Zuletzt war dieser Herr Ende Februar dieses Jahres bei ihm. Die Frau (Mrs. Stern) schweigt diskret zu den finanziellen Verhältnissen ihres Arbeitgebers, aber von Hogben habe ich mir sagen lassen, daß sie und ihr Mann sich unter der Hand bereits nach einer neuen Stelle umgehört haben.
Das ist alles, was ich in der kurzen Zeit, die mir zur Verfügung stand, in Erfahrung bringen konnte. (Ich sollte noch erwähnen, daß ich mit der Eisenbahn bis Cambridge gereist bin und mir dort ein Automobil gemietet habe, um der mir zugedachten Rolle gerecht zu werden, und daß ich hier am Donnerstagnachmittag angekommen bin.) Wenn Eure Lordschaft es wünschen, kann ich noch hierbleiben und weitere Erkundigungen einziehen. Eure Lordschaft werden mir den Hinweis verzeihen, daß es ratsam ist, die Manschettenknöpfe von den Hemden abzunehmen, bevor man diese in die Wäsche gibt. Es bekümmert mich sehr, mir vorzustellen, daß ich am Montag vielleicht nicht dasein werde, um die Sache selbst in die Hand zu nehmen, und ich würde es als sehr schmerzlich empfinden, wenn so ein unangenehmer Zwischenfall wie anläßlich meiner letzten Abwesenheit sich wiederholen sollte. Ich habe vergessen, Eurer Lordschaft vor meiner Abreise zu sagen, daß der Anzug mit den Nadelstreifen auf keinen Fall wieder getragen werden darf, bevor der Schlitz in der rechten Tasche genäht ist, dessen Vorhandensein ich mir höchstens damit erklären kann, daß Eure Lordschaft diese Tasche versehentlich zur Beförderung eines schweren, scharfkantigen Gegenstandes benutzt haben. Ich hoffe, daß Eure Lordschaft sich an günstigen klimatischen Bedingungen erfreuen können und der Fortgang der Ermittlungen den Erwartungen entspricht. Übermitteln Sie bitte Miss Vane meine gehorsamsten Empfehlungen, und seien Sie selbst gegrüßt, Mylord, von Ihrem stets ergebenen
Mervyn Bunter.«
Dieses Dokument erreichte Wimsey am Samstagnachmittag, und am Abend bekam er Besuch von Inspektor Umpelty, dem er es zu lesen gab.
Der Inspektor nickte.
»Wir haben ungefähr die gleichen Informationen erhalten«, sagte er. »Der Bericht Ihres Dieners geht etwas mehr ins einzelne – bis zu den Drainagerohren – aber ich glaube jedenfalls, wir können fest davon ausgehen, daß unserm Freund Weldon finanziell das Wasser bis zum Hals steht. Das war jedoch nicht der Anlaß meines Besuches bei Ihnen. Wir haben nämlich die zu dem Foto gehörende Dame gefunden.«
»Wahrhaftig? Die schöne Feodora?«
»Ja«, antwortete der Inspektor mit verhaltenem Triumph, doch selbst im Triumph noch mit einem gewissen Vorbehalt. »Die schöne Feodora – aber sie sagt, sie ist es nicht.«
Wimsey zog die Augenbrauen hoch, oder genauer gesagt, die eine Augenbraue, die nicht damit beschäftigt war, das Monokel an seinem Platz zu halten.
»Wenn sie also nicht sie selbst ist, wer ist sie dann?«
»Sie sagt, sie heißt Olga Kohn. Ich habe ihren Brief hier.« Der Inspektor kramte in seiner Brusttasche. »Sie schreibt einen guten Briefstil, und in einer schönen Handschrift, das muß ich sagen.«
Wimsey nahm den blauen Briefbogen entgegen und warf einen Kennerblick darauf.
»Hm. Sehr zierlich. Wie man es bei Mr. Selfridge in der Spezialabteilung für die feinen Herrschaften bekommt. Ein schmuckvolles großes O in Königsblau und Gold. Und eine hübsche Handschrift, ganz wie Sie sagen, sehr selbstbewußt. Ausgesprochen elegantes Kuvert dazu; aufgegeben im Bezirk Piccadilly vor der letzten Leerung am Freitagabend und adressiert an den Untersuchungsrichter von Wilvercombe. So so. Dann wollen wir mal sehen, was die Dame uns zu erzählen hat.«
»159 Regent Square,
Bloomsbury.
Werter Herr,
ich habe in der heutigen Abendzeitung den Be richt über die Voruntersuchung im Falle Paul Alexis gelesen und war sehr überrascht, in diesem Zusammenhang mein Foto zu sehen. Ich kann Ihnen versichern, daß ich mit dem Fall nichts zu tun habe und mir nicht vorstellen kann, wie das Foto in den Besitz des Toten gelangt ist oder wie
Weitere Kostenlose Bücher