Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde
keinen Fall Ihre kostbare Zeit verschwenden. Nur zu. Haben Sie Erbarmen. Lassen Sie mich nicht vor Spannung umkommen. Was hat er damit gemacht?«
»Er ist hingegangen«, sagte der Inspektor genüßlich, »und hat es zu Gold gemacht.«
»Zu WAS?«
»Dreihundert goldene Sovereigns – die hat er sich dafür gekauft. Dreihundert runde, gelbe, goldene Sterntaler.«
Wimsey starrte ihn verständnislos an.
»Dreihundert – hören Sie, Inspektor, ein solcher Schock ist mehr, als schwaches Fleisch und Blut ertragen kann. Soviel Gold gibt’s im ganzen Land nicht. Mehr als zehn Sovereigns auf einmal habe ich nicht mehr gesehen, seit ich an meines Großvaters Seite in der Schlacht von Waterloo kämpfte. Gold! Woher hat er das? Wie ist er darangekommen? An den Bankschaltern bekommt man nämlich heutzutage kein Gold mehr. Hat er die staatliche Münze ausgeraubt?«
»Nein, er hat sie ganz ehrlich gegen Banknoten eingetauscht. Aber es ist schon eine komische Geschichte. Ich will Ihnen mal erzählen, wie es war und wie wir davon erfahren haben. Sie wissen vielleicht noch, daß vorige Woche ein Bild von Alexis in der Zeitung war.«
»Ja, aus der Gruppenaufnahme herausvergrößert, die letzte Weihnachten beim großen Galaabend im Hotel gemacht wurde. Das habe ich gesehen.«
»Ganz recht; es war das einzige, das wir finden konnten; Alexis hatte ja nichts herumliegen lassen. Nun, gestern hatten wir also einen recht merkwürdigen Vogel zu Besuch auf dem Revier – Vatermörder, Schnauzbart, lange Krawatte, Baumwollhandschuhe, Melone, großer grüner Regenschirm – wie aus dem Bilderbuch. Gab an, daß er in Princemoor wohnt. Er zieht also eine Zeitung aus der Tasche, zeigt auf das Foto und zwitschert los: ›Ich höre, Sie wollen etwas über diesen armen jungen Menschen erfahren.‹ ›O ja‹, meint der Chef, ›wissen Sie vielleicht etwas über ihn?‹ – ›Über seinen Tod nicht‹, sagt der Alte, ›aber ich hab mit ihm vor drei Wochen ein komisches Geschäft gemacht‹, sagt er, ›und ich dachte, das wollen Sie vielleicht wissen‹, sagt er. ›Ganz recht‹, meint der Chef. ›Schießen Sie nur los.‹ Und dann hat er uns also die ganze Geschichte erzählt.
Danach war das so: Sie erinnern sich vielleicht, daß vor einiger Zeit – es kann aber höchstens einen Monat her sein – in der Zeitung etwas über so eine wunderliche alte Frau stand, die in Seahampton allein in einem Haus mit hundert Katzen lebte. Eine Miss Ann Bennett – aber der Name spielt keine Rolle. Na ja, eines Tages passiert das Übliche. Die Fensterläden bleiben zu, aus dem Kamin kommt kein Rauch, die Milch bleibt vor der Tür stehen, die Katzen jammern zum Steinerweichen. Ein Konstabler steigt mit einer Leiter ein und findet die arme Alte tot im Bett. Ergebnis der Leichenschau: ›Natürlicher Tod‹, mit andern Worten: Altersschwäche, Unterernährung und obendrein eine verschleppte Lungenentzündung. Und natürlich jede Menge Geld im Haus, darunter vierhundert goldene Sovereigns in der Matratze. Das kommt immer wieder vor.«
Wimsey nickte.
»Na ja. Dann taucht der lange vermißte nächste Angehörige auf, und wer kann das anders sein als dieser alte Knabe aus Princemoor, Abel Bennett? Das Testament wird gefunden, in dem sie ihm alles vermacht und ihn bittet, für die Miezen zu sorgen. Er ist der Testamentsvollstrecker und nimmt die Sache sofort in die Hand. Schön. Am Tag nach der Leichenschau kommt nun unser junger Freund Paul Alexis daher – seinen Namen gibt er richtig an, und nach dem Foto wird er richtig identifiziert. Er erzählt dem alten Bennett eine wilde Geschichte, wonach er für irgendeinen bestimmten Zweck Goldmünzen braucht. Er will einen Diamanten von einem Maharadscha kaufen, der kein Papiergeld kennt – irgend so ein Quatsch jedenfalls.«
»Das hat er wahrscheinlich aus einem Buch«, meinte Wimsey. »Ich habe das schon mal irgendwo gelesen.«
»Möglich. Der alte Bennett, der ein bißchen mehr Grips zu haben scheint als seine Schwester, glaubt ihm kein Wort, einfach weil der junge Mann, wie er sagt, nicht so aussah, als ob er von Maharadschas Diamanten kaufen könnte, aber es ist schließlich kein Verbrechen, Gold kaufen zu wollen, und außerdem geht es ihn nichts an, wofür einer es braucht. Er bringt ein paar Einwände vor, und Alexis bietet ihm für dreihundert Goldsovereigns dreihundert Pfundnoten der Bank von England plus zwanzig Pfund extra. Abel Bennett hat gegen ein Bakschisch nichts einzuwenden und ist zu dem
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