Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde
Tür aufstieß. »Was Besseres finden Sie bestimmt in ganz Wilvercombe nicht, und es ist so schön ruhig – hier können Sie wunderbar schreiben. Ich hab alles saubermachen und seine Sachen und Kleider wegräumen lassen – und wenn Ihnen seine Bücher nicht gefallen und die paar Sachen, die noch da sind, kann ich die leicht auf die eine Seite räumen. Aber die machen Ihnen ganz bestimmt nichts aus. Er ist ja schließlich nicht in diesem Zimmer gestorben, nicht wahr, die arme Seele. Und ich kann Ihnen sagen, Mr. Alexis war viel zu sehr ein Herr, um in anderer Leute Wohnungen irgend etwas Überstürztes zu tun. Von so was bekommt ein Haus einen schlechten Ruf, das ist nicht zu leugnen, und nachher wird man noch für Dinge verantwortlich gemacht, auf die man gar keinen Einfluß hat, da kann man sich noch so anstrengen, daß die Gäste sich bei einem wohlfühlen. Und die Bücher, na ja, wenn es irgendwas Ansteckendes gewesen wäre, hätten die natürlich vernichtet werden müssen, obwohl ich ja jetzt überhaupt nicht weiß, wem sie gehören, und das kann die Polizei mir sicher auch nicht sagen, und ich finde, hier stehen sie mit demselben Recht wie anderswo, nachdem ich das ganze Jahr und länger wie eine Mutter zu ihm war. Aber hier gibt’s nichts Ansteckendes, denn mit so was hatte er nie was zu tun, und normalerweise war er bei bester Gesundheit, bis auf die Schmerzen in den Gelenken, mit denen er sich manchmal hinlegen mußte, und was er da für Qualen durchgemacht hat, das war grausam. Ich kann Ihnen sagen, mir hat das Herz für ihn geblutet, und wieviel Antipyrin er dagegen genommen hat, da würden Sie sich nur wundern, und nie wollte er einen Arzt haben. Aber bitte, ich kann es ihm nicht verdenken. Meine Schwester hatte auch ganz schlimmes Rheuma, und was die ausgegeben hat für Ärzte und Bestrahlung, und nichts ist dabei rausgekommen, außer daß ihre Knie aufgegangen sind wie Kürbisse. Und schließlich konnte sie ihre Beine gar nicht mehr gebrauchen, was ja nun wirklich grausam ist für einen Menschen mit ihrem Beruf. Sie war Trapezkünstlerin; ich hab noch ihr Foto bei mir im Zimmer, wenn Sie es sich bei Gelegenheit mal ansehen möchten, Kindchen. Und die Kränze, die ihre alten Freunde zu ihrer Beerdigung geschickt haben, das war schon eine Pracht. Der ganze Leichenwagen war zugedeckt, daß sie noch einen Extrawagen dafür holen mußten. Aber wie gesagt, wenn Sie die Bücher nicht wollen, hole ich sie weg. Jedenfalls lasse ich nicht zu, daß diese Weldon oder diese Leila Garland – die kleine Katze – herkommt und sie mitnimmt.«
Das Zimmer war wirklich ganz hübsch – groß und hell und viel sauberer, als Harriet aufgrund von Mrs. Lefrancs Aussehen hätte hoffen können. Das Mobiliar war natürlich häßlich, aber trotz der Schäbigkeit solide und gut in Schuß. Die Bücher waren genau von der Art, wie Inspektor Umpelty sie beschrieben hatte: vorwiegend Romane in billigen Ausgaben, dazwischen ein paar broschierte Bücher in russischer Sprache und einige Bände mit Denkwürdigkeiten vom Zarenhof. Das einzige überraschende Andenken an den früheren Mieter war eine wunderschöne Ikone über dem Kopfende des Bettes – mit Sicherheit alt und wahrscheinlich kostbar.
Der Form halber ließ Harriet sich auf ein langes Feilschen um die Miete ein, aus dem sie triumphierend mit einem Inklusivpreis von zweieinhalb Guineen die Woche hervorging, wahlweise zwölf Shilling ohne alles.
»Und das würde ich nicht für jeden tun«, sagte Mrs. Lefranc. »Nur weil ich sehe, daß Sie eine von der ruhigen Sorte sind. Wenn es etwas gibt, was ich in meinem Haus nicht leiden kann, dann sind das Scherereien. Obwohl diese schreckliche Geschichte ja nun wirklich Scherereien genug für alle bringt. Für mich war es ein grausamer Schock«, sagte Mrs. Lefranc und ließ sich mit einem Stöhnen auf dem Bett nieder, wie um zu demonstrieren, daß der Schock noch nicht ganz abgeklungen war. »Ich hatte den armen Mr. Alexis so gern.«
»Das glaube ich Ihnen.«
»Ein so rücksichtsvoller Junge«, fuhr Mrs. Lefranc fort, »und Manieren wie ein Prinz hatte er. Ach ja, wenn ich mich manchmal kaum noch auf den Beinen halten konnte vor lauter Mädchen und Gästen und allem, wie oft hat er da gesagt: ›Kopf hoch, Mama Lefranc‹ – so nennen sie mich alle – ›Kopf hoch. Trinken Sie ein Gläschen mit mir auf bessere Tage.‹ Wie ein Sohn war er zu mir, wirklich.«
Was immer Harriet über diese rührende Reminiszenz denken mochte, die
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