Wimsey 11 - Der Glocken Schlag
er eigentlich tat, und ich nicht genug davon verstehe, um es mir selbst ausmalen zu können. Aber soweit ich es mitbekommen habe, ist er in einen schweren Beschuß geraten. Die Hölle war los, schreibt er, und ich könnte mir vorstellen, daß er allmählich mit freundlichen Gefühlen an Maidstone und sogar an die elende Zelle gedacht hat. Offenbar ist er nie bis in die Frontgräben gekommen, weil sie dort rausbombardiert wurden, und er ist dann in den Rückzug hineingeraten. Er hat seine Gruppe verloren, und irgendwas hat ihn am Kopf getroffen und flachgelegt. Als nächstes wußte er wieder, daß er in einem Granattrichter lag, zusammen mit einem, der schon eine Weile tot war. Ich weiß es nicht genau. Ich bin nicht ganz schlau daraus geworden. Nach einer Weile ist er da rausgekrochen. Alles war ruhig, und es wurde dunkel. Demnach muß er einen ganzen Tag oder so verschlafen haben. Er hatte auch gar keine Orientierung mehr, schreibt er. Er ist herumgeirrt und immer wieder in Löcher und über Drähte gefallen, und am Schluß ist er in irgendeinen Schuppen getaumelt, mit Heu und lauter Sachen drin. Aber viel weiß er davon auch nicht mehr, weil er doch einen ekelhaften Schlag auf den Kopf gekriegt hatte und jetzt auch noch Fieber bekam. Und dann hat ihn ein Mädchen gefunden.«
»Das wissen wir«, sagte der Polizeidirektor.
»Kann ich mir denken. Sie scheinen ja viel zu wissen. Also, das hat Deacon jedenfalls ganz schön schlau angefangen. Er hat das Mädchen eingeseift, und dann haben sie sich eine Geschichte für ihn ausgedacht. Er schreibt, es war ganz leicht, so zu tun, als wenn er das Gedächtnis verloren hätte. Der größte Fehler dieser Militärärzte war, daß sie versucht haben, ihn mit militärischen Kommandos zu fangen. Er war nie beim Kommiß gewesen, da brauchte er nicht einmal den Dummen zu spielen. Am schwersten war's, so zu tun, als ob er kein Englisch könn te. Damit hätten sie ihn ein- oder zweimal fast erwischt. Aber er konnte ja Französisch, und da hat er sich nach besten Kräften in dieser Sprache verständig gezeigt.
Seine französische Aussprache war ganz gut, aber er hat vorsichtshalber so getan, als ob er die Sprache verloren hätte, damit jedes Stottern und Stocken darauf geschoben wurde, und in der Zwischenzeit hat er mit dem Mädchen zusammen geübt, bis er perfekt war. Ich muß sagen, dieser Deacon hatte Köpfchen.«
»Diesen Teil können wir uns ganz gut selbst ausmalen«, sagte Parker. »Aber nun erzählen Sie uns mal von den Smaragden.«
»Ach ja. Darauf ist er gekommen, als ihm irgendwann mal eine alte englische Zeitung in die Finger kam, in der was von einem Toten stand, den man in einer Steinzeithöhle gefunden hatte. Seine Leiche, wie alle Welt annahm. Die Zeitung war natürlich schon von 1920, aber er hat sie erst 1924 gesehen – ich weiß nicht, wo. Sie ist einfach aufgetaucht, wie so Sachen eben manchmal auftauchen. Irgendwer muß irgendwann mal etwas darin eingewickelt haben, und ich glaube, ihm ist sie in einer Kneipe in die Finger gefallen. Er hat sich zunächst nicht drum gekümmert, denn der Hof gedieh ganz gut – er hatte das Mädchen nämlich inzwischen geheiratet –, und er war ganz glücklich. Aber dann kamen mal schlechte Zeiten, und er hat immer wieder an die Steinchen denken müssen, die da irgendwo herumlagen und keinem was nützten. Er wußte nur nicht, wie er drankommen sollte, und jedesmal, wenn er an den erschlagenen Wärter und den andern dachte, den er in das Loch geworfen hatte, wurde ihm ganz anders. Jedenfalls ist ihm nach einer Weile meine Wenigkeit eingefallen, und er hat sich ausgerechnet, daß ich wohl inzwischen wieder draußen war. Daraufhin hat er mir geschrieben. Nun, wie Sie wissen, war ich gar nicht draußen. Ich war aufgrund eines bedauerlichen Mißverständnisses wieder drinnen und hab den Brief also vorerst nicht gekriegt, weil meine Kumpel fanden, daß man so einen Brief nicht dahin weiterschicken sollte, wo ich gerade war. Kapiert? Aber wie ich wieder rauskam, da hat dann der Brief auf mich gewartet.«
»Es wundert mich, daß er ausgerechnet Sie ins Vertrauen gezogen hat«, sagte Parker. »Sie hatten doch in dieser Angelegenheit einen – sagen wir, etwas unfeinen Disput gehabt.«
»O ja!« sagte Mr. Cranton. »Den hatten wir, und dazu habe ich in meinem Antwortbrief auch einiges anzumerken gehabt. Aber, sehen Sie, er hatte sonst niemanden, an den er sich wenden konnte. Und schließlich, wenn's um die Wurst geht, dreht niemand ein
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