Wimsey 11 - Der Glocken Schlag
sagte Mr. Cranton. »Ich hab schon damit gerechnet, daß Sie draufkommen, nur gehofft hab ich, daß Sie's nicht tun. Ich hab's jedenfalls nicht getan und möchte aussagen. Nehmen Sie Platz. Diese Gemächer hier sind für einen Gentleman nicht ganz das Wahre, aber was Besseres hat die Heimat wohl nicht zu bieten. Ich hab gehört, in Sing-Sing ist es schöner. O England, mit all deinen Fehlern lieb ich dich! Wo soll ich anfangen?«
»Am besten von vorn«, schlug Wimsey vor. »Erzählen Sie bis zum Ende und dann halt. Darf er eine Zigarette rauchen, Charles?«
»Also, Mylord und – nein«, sagte Mr. Cranton, »ich sage nicht ›meine Herren‹. Geht mir irgendwie gegen den Strich, zu Polizeibeamten ›meine Herren‹ zu sagen. Also dann, Mylord und Anhang, ich brauche Ihnen nicht erst zu sagen, daß ich zutiefst gekränkt bin. Hab ich Ihnen nicht gesagt, daß ich die Klunker nie im Besitz hatte? Und sehen Sie, ich hatte recht. Nun möchten Sie wissen, wie ich erfahren habe, daß Deacon noch an Deck ist? Nun, er hat mir einen Brief geschrieben, so war das. Irgendwann im letzten Juli muß das gewesen sein. Er war an unsern alten Treff adressiert, von wo er weitergeleitet wurde – fragen Sie nicht, von wem.«
»Gammy Pluck«, bemerkte Mr. Parker gleichmütig.
»Ich nenne keine Namen«, sagte Mr. Cranton. »Das ist Eh
rensache unter Ehrenmännern. Und als ehrenhafter Ehrenmann habe ich den Brief natürlich sofort verbrannt, aber das war eine wilde Geschichte, und ich weiß gar nicht, wie ich ihr gerecht werden soll. Wie es aussieht, hat Deacon sich nach seinem Abschied aus Maidstone – dem ein unerfreulicher Zwischenfall mit einem Wärter vorausgegangen war – ein, zwei Tage auf höchst widrige Weise in Kent herumdrücken müssen. Er schrieb, die Dummheit der Polizei übersteige jede Vorstellungskraft. Zweimal sind sie direkt über ihn weggestiegen, schreibt er. Einmal haben sie sogar auf ihn getreten. Er schreibt, er hat noch nie so eindrucksvoll erfahren, warum man Polizeibeamte mitunter Plattfüße nennt. Es hat ihm fast einen Finger gebrochen, so hat der Plattfuß draufgestanden. Ich dagegen«, fügte Mr. Cranton hinzu, »habe eher kleine Füße. Klein und wohlgeformt. Einen Herrn erkennt man immer an seinen Füßen.«
»Weiter, Nobby«, sagte Mr. Parker.
»Jedenfalls, am dritten Abend, wie er da so herumliegt, irgendwo im Wald, da hört er einen kommen, der kein Plattfuß ist. Aber sternhagelvoll war er, schreibt Deacon. Also springt er hinter einem Baum hervor und verpaßt dem Kerl eins. Er hat ihn angeblich nicht umlegen wollen, nur für eine Weile flachlegen, aber er muß wohl etwas härter zugeschlagen haben, als er eigentlich wollte. Wohlgemerkt, das ist Deacons Version, aber Deacon war schon immer ein gemeiner Kerl, und einen hatte er ja schon auf dem Gewissen, und zweimal kann man einen nicht aufhängen. Jedenfalls hat er gesehen, daß er dem Burschen den schäbigen Rest gegeben hatte, und das war's dann.
Worauf er's abgesehen hatte, das waren natürlich Klamotten, und wie er sich seine Beute besieht, muß er entdecken, daß er 'nen Tommy in voller Uniform mit Marschgepäck erwischt hat. So überraschend war das ja nicht, bei Licht besehen. 1918 liefen davon so einige herum, aber für Deacon war es schon ein harter Schlag. Natürlich wußte er selber, daß Krieg war – darüber hatten sie im Knast alles erfahren –, aber irgendwie hatte er das sozusagen nicht ganz mitgekriegt. Dieser Soldat hatte jedenfalls Papiere und so'n Zeug bei sich und eine Taschenlampe, und soweit Deacon feststellen konnte, als er sich die Sachen an einem stillen Fleckchen rasch mal besah, hatte er gerade seinen Urlaub um und war auf dem Weg zurück zur Front. Nun, denkt Deacon, jedes Drecksloch ist besser als der Knast in Maidstone, also nichts wie los. Er tauscht mit dem Tommy sämtliche Klamotten bis auf die Haut, nimmt seine Papiere und so weiter an sich und schmeißt ihn runter in dieses Loch. Deacon stammt nämlich aus Kent, müssen Sie wissen, und kannte sich dort aus. Natürlich hatte er vom Soldatenspielen keine Ahnung – aber Not ist der beste Lehrmeister und so weiter. Er hat gedacht, das beste ist, er begibt sich nach London und versucht dort 'nen alten Kumpel zu finden, der sich seiner annimmt. Also ist er losgezogen und hat dann nach einer Weile einen Lastwagen erwischt, der ihn zu irgendeinem Bahnhof brachte. Er hat den Namen erwähnt, aber ich hab ihn wieder vergessen. Irgendein kleines Städtchen, in dem er
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