Wind der Gezeiten - Roman
ersten Plantagen abgetrotzt und nach einigen blutigen Zerwürfnissen Frieden mit den karibischen Eingeborenen geschlossen hatten. Auch Sklaven lebten auf der Insel, jedoch bei Weitem nicht so viele wie auf Barbados. Alles in allem, so schätzte Elizabeth, befand sich Guadeloupe auf einer Stufe der Kolonialisierung wie Barbados gut zwanzig Jahre zuvor, mit dem Unterschied, dass es auf Guadeloupe noch Kariben gab. Von denen, so hatte Elizabeth erfahren, setzten sich jedoch immer mehr nach Dominica ab.
Die Verhältnisse auf Basse-Terre ähnelten auch gesellschaftlich denen auf Barbados– einigen sehr reichen, meist adligen Pflanzern war eine Vielzahl besitzloser Arbeiter unterstellt, die über Jahre hinweg ihre Passage in die neue Welt abdienen mussten. Nach Ablauf dieser Zeit fehlten ihnen die Mittel, eigenes Land zu bestellen, weshalb sie meist bis an ihr Lebensende arme Pächter blieben. Die Plantagenwirtschaft gründete sich somit, genau wie auf Barbados, auf Ausbeutung und Unterdrückung, aber was Elizabeth auf der einen Seite mit Widerwillen und Mitleid erfüllte, bot ihr andererseits unverhoffte Vorteile. Dank ihrer Herkunft hatte sie sofort Eingang in die besseren Kreise gefunden– ein Schwager des Gouverneurs hatte sie aufgenommen, Henri de Perrier.
Henri und seine Frau Yvette, ein Ehepaar um die dreißig, bewohnten eines der größeren Häuser im Dorf, mit einer geräumigen Veranda, mehreren Schlafzimmern und einem Salon, der mit einem Sammelsurium von Luxusgegenständen vollgestopft war. Seidenteppiche, Draperien, silberne Leuchter, Gobelins und Ölgemälde bezeugten Yvettes reiche Herkunft und ihren Hang zu vornehmer Lebensart. Es gab sogar ein Virginal, auf das sie ungemein stolz war. Ihr Mann Henri, von eher bodenständigem Charakter, war der Sohn eines der ersten Pioniere auf der Insel und Erbe einer ausgedehnten Tabakplantage.
Das Anwesen der Perriers bestand aus einem Haupthaus und etlichen dahinter verstreuten Hütten, Vorratsschuppen, Stallungen und Gemüsebeeten. Daran angrenzend zogen sich die Tabakfelder den Hügel hinauf. Ein paar Steinwürfe unterhalb der Straße, die aus festgetretener, von Karrenspuren gefurchter Erde bestand, erstreckte sich der Strand mit seinen Bootsschuppen und Anlegern.
Müßig betrachtete Elizabeth das Dorf. Dort unten herrschte emsiges Treiben, doch lag über der ganzen Umgebung zugleich eine friedliche Stimmung. Eingerahmt von der karibischen See auf der einen und der Hügellandschaft auf der anderen Seite, verströmte die Gegend an diesem sonnigen Spätnachmittag eine Atmosphäre anheimelnder Beschaulichkeit. Ziegen grasten hinter den Häusern, in den Gassen spielten Kinder, und auf dem kleinen Markt hielten Frauen ein Schwätzchen. Elizabeth sah jedoch auch die schwarzen Sklaven, die auf dem Weg zu den Trockenschuppen in Reihen den Hügel hinunterkamen, geduckt unter der hoch gestapelten Last frisch gepflückter Tabakblätter. Der Reichtum einiger weniger wurde mit der harten Arbeit vieler erkauft.
Auch Zuckerrohr wurde seit ein paar Jahren auf Basse-Terre angebaut. Henri hatte gemeint, dass er demnächst ebenfalls einige Felder anlegen wolle, denn offenbar liege darin die Zukunft der Antillen. Seine Ankündigung, dafür zusätzliche Sklaven kaufen zu wollen, hatte Elizabeth zunächst mit Unbehagen erfüllt, aber mit der Zeit hatte sie festgestellt, dass die Schwarzen es vergleichsweise gut bei ihm hatten und dass er als umsichtiger, gerechter Herr galt.
Seine Frau Yvette war von gänzlich anderem Wesen als er. Mit ihren langen blonden Locken, den hellblauen Augen und der weißen Haut verkörperte sie den Inbegriff verzärtelter Damenhaftigkeit. Sie hatte einen leichten Überbiss, was ihrer Schönheit jedoch kaum Abbruch tat. Das Haus verließ sie nur ungern, denn sie verabscheute den Schmutz und den Staub, der die Wege bei jedem Regenguss in zähe Schlammlöcher verwandelte.
» Warum soll ich mir meine schönen Kleider ruinieren? « , sagte sie zu Elizabeth, als diese Yvette einmal gefragt hatte, ob sie auf einen Spaziergang mitkommen wolle. » Außerdem vertrage ich die Sonne nicht, sie verbrennt mich sofort. «
Die meiste Zeit des Tages verbrachte sie in ihrem Salon und beschäftigte sich mit ihren Blumenmalereien und Stickarbeiten, die in zahlreichen Variationen die Wände und Möbel des Hauses zierten. Immer wenn sie wieder eines ihrer Kunstwerke vollendet hatte, zeigte sie es entzückt Elizabeth, die das Werk pflichtschuldigst bewundern musste.
Henri
Weitere Kostenlose Bücher