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Wind der Gezeiten - Roman

Wind der Gezeiten - Roman

Titel: Wind der Gezeiten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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weil die meisten Wilden entweder tot oder fortgezogen sind. Viele sind nach Martinique gegangen, aber auch da sind sie im Grunde unerwünscht, es gibt immer wieder Ärger mit ihnen. Auf lange Sicht wird ihnen nur Dominica bleiben. Dort ist Plantagenbau ohnehin fast unmöglich, es ist viel zu bergig. Weder England noch Frankreich haben vor, die Insel in Besitz zu nehmen, und daran wird auch dieser größenwahnsinnige Landsmann von Euch nichts ändern. «
    Seit Henri die Umstände ihrer Flucht von Dominica kannte, betrachtete er Elizabeth mit neuem Respekt. Mehrmals betonte er, wie sehr es ihn ehre, dass eine so tapfere, kluge und obendrein schöne Frau sein Gast sei, womit er sie jedoch in Verlegenheit brachte, denn sie befürchtete, dass Yvette eifersüchtig werden könnte. Doch diese stimmte ihrem Mann lediglich arglos zu und fragte Elizabeth, ob sie vielleicht Lust auf eine Runde Pikett habe.
    So waren die Tage und Wochen seit ihrer Ankunft auf Basse-Terre in freundlichem, gleichförmigem Einerlei verstrichen– und Elizabeths Anspannung nahm beständig zu. Wann endlich würde Duncan von England zurückkehren?
    Sie erhob sich von dem Felsen und betrachtete ein letztes Mal den Horizont. Bereits im Begriff, sich abzuwenden, sah sie in der Ferne etwas Helles aufblitzen. Möglicherweise war es nur ein Lichtreflex auf dem Wasser, vielleicht auch Brandungsgischt. Mit verengten Augen sah sie genauer hin und wartete mit angehaltenem Atem, bis sie sicher sein konnte: Es war ein Schiff! Konzentriert starrte sie den hellen Fleck an, während dieser immer größer wurde und allmählich vor dem sattblauen Hintergrund des Meeres Gestalt annahm. Bald war deutlich zu sehen, dass das Schiff nicht die Elise sein konnte. Es war kein schnittiger, schlanker Dreimaster, sondern ein deutlich kleineres, plump gebautes Boot. Enttäuscht wandte sie sich ab und begann den Abstieg zum Dorf.
    Das Haus der Perriers lag an der breitesten Straße mitten im Ort. Deirdre saß mit Faith auf der Veranda des Hauses und hatte ein Auge auf Johnny, der mit ein paar anderen Kindern spielte. Gemeinsam jagten sie ein Huhn umher und übertönten mit ihrem begeisterten Geschrei das wilde Gackern des armen Vogels.
    » Johnny, komm her zu mir! « , rief Elizabeth. Sie hatte das Bedürfnis, ihn in die Arme zu schließen.
    Er blickte auf und lachte sie an. Seine Augen leuchteten blau in dem schmutzverschmierten Gesichtchen. In diesem Moment hatte er so viel Ähnlichkeit mit seinem Vater, dass Elizabeth die Luft anhalten musste. Sie vermisste Duncan plötzlich mit einer Heftigkeit, die ihr die Tränen in die Augen trieb. Er war nun schon so lange fort, dass es jeden Tag schwerer wurde, die Hoffnung auf ein Wiedersehen aufrechtzuerhalten. Jedes Schiff, das im Hafen Anker warf, zog sie unweigerlich an den Strand, und sie ruhte nicht eher, bis sie den jeweiligen Kapitän nach Neuigkeiten ausgefragt hatte. Eines der Frachtschiffe war direkt aus London gekommen, und ein darauf mitreisender Händler wollte gehört haben, dass ein karibischer Kaperfahrer wegen Verrats und Piraterie gehängt worden sei, doch Genaueres wusste er nicht. Elizabeth hatte dieses Gespräch nach Kräften verdrängt, doch in ihr lauerte seitdem die Furcht wie ein wildes Tier im Versteck, jederzeit bereit, sich auf sie zu stürzen und mit scharfen Krallen ihr Inneres zu zerfetzen.
    » Komm her, Johnny! «
    » Mommy, ich hab keine Zeit! Wir fangen das Huhn! «
    » Ja, das sehe ich. « Elizabeth lachte gegen ihre Verzweiflung an. » Und ihr macht euch dabei ziemlich dreckig. « Am Nachmittag hatte es geregnet, die Wege waren aufgeweicht und entsprechend verschlammt.
    » Nun komm schon her. « Elizabeth klemmte sich Johnny im Vorbeigehen unter den Arm und achtete nicht auf die mit Gestrampel untermalten Proteste. Er war jetzt fast drei und ausgesprochen dickköpfig, und davon abgesehen hatte er ständig Unfug im Kopf. Wenn man ihn nicht dauernd im Auge behielt, heckte er umgehend irgendwelche Streiche aus. Neulich hatte er ein halbes Dutzend fingerlange Kakerlaken eingesammelt und im Haus laufen lassen, mit der Begründung, es handle sich um seine Freunde. Er hatte ihnen sogar Namen gegeben. Yvettes schrilles Kreischen hatte man bis zum Ortsrand gehört.
    » Ich will mit dem Huhn spielen! « , schrie er.
    » Das Huhn aber nicht mit dir. Außerdem siehst du aus wie ein Erdferkel und musst gewaschen werden. Zum Abendbrot musst du sauber sein. « Elizabeth ignorierte sein Gezappel und trug ihn die drei

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