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Wind der Gezeiten - Roman

Wind der Gezeiten - Roman

Titel: Wind der Gezeiten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Schönheit dieses Naturschauspiels wirklich würdigen zu können. Sie fühlte sich zerschlagen und müde, die Nacht über hatte sie kaum Schlaf bekommen. Erst kurz vor dem Morgengrauen war sie in einen unruhigen Schlummer gefallen, aus dem Faith sie gleich darauf wieder geweckt hatte. Die ganze Nacht hatten ihre Gedanken sich im Kreis gedreht, sie hatte gegrübelt und sich den Kopf zermartert. Tausend Fragen hatten sie gequält. Welche Verletzungen Duncan erlitten hatte. Was er durchgemacht haben musste. Und ob er dabei an sie gedacht hatte, so wie sie gerade an ihn dachte. Voller verzweifelter Sehnsucht, das Schicksal verfluchend, und dabei von einer so quälenden inneren Einsamkeit erfüllt, dass es die Seele in Fetzen riss.
    Sie wandte ihren Blick dem Meer zu, das im zunehmenden Licht des Tages einem wechselnden Farbenspiel ausgesetzt war. Der Horizont leuchtete nun heller, und auch die Wasseroberfläche würde bald strahlend in der Sonne liegen, wie ein riesiger, beweglicher Teppich voller glitzernder Tupfen. Sie umschlang ihre Knie und ließ sich den Wind ins Gesicht fahren. Während des Aufstiegs hatte sie einen Entschluss gefasst, den sie in der vergangenen Nacht beständig im Kopf herumgewälzt und wieder und wieder durchdacht hatte, bis die Entscheidung unverrückbar feststand: Sie würde mit dem nächstbesten Handelsschiff nach England reisen und Duncan finden. Es würde ihr das Herz zerreißen, die Kinder zurücklassen zu müssen, doch sie konnte und wollte die Kleinen nicht den Gefahren des Seekrieges und den Strapazen der Überfahrt aussetzen. Außerdem würden Johnny und Faith es bei William gut haben. Er würde dafür sorgen, dass es ihnen auf Summer Hill an nichts mangelte. Celia liebte Kinder, sie würde sie behandeln wie ihre eigenen.
    Sie wünschte sich, dass der Plan, nach England zu reisen, ihr ein wenig inneren Frieden verschafft hätte. Dennoch fühlte sie sich so einsam und verzweifelt wie zuvor, gelähmt von der Furcht, Duncan nicht mehr lebend anzutreffen. Aber sie hatte keine andere Wahl, als sich dieser Angst zu stellen, auch wenn die Hoffnung auf ein gesundes Wiedersehen noch so gering war. Es nicht zu versuchen, hieße, ihn aufzugeben.
    Elizabeth legte die Wange auf ihre Knie und schloss die Augen.
    Ihre nächste bewusste Wahrnehmung war ein bunter, taumelnder Falter dicht vor ihren Augen. Sie folgte ihm mit ihren Blicken und schaute zu, wie er davonflatterte, leuchtendes Gelb vor einem strahlend blauen Himmel. Es war helllichter Tag und schon ziemlich heiß. Sie hatte geschlafen, sicher eine Stunde oder sogar zwei. Mühsam kämpfte sie sich auf die Beine, in denen es stach wie von ungezählten Nadelstichen, ganz zu schweigen von anderen Befindlichkeiten. Sie verzog das Gesicht und rieb sich die schmerzende Kehrseite. Auf hartem Fels und obendrein im Sitzen einzuschlafen war keine besonders gute Idee gewesen. Wahrscheinlich würde sie ihren Allerwertesten noch tagelang spüren.
    Ihre Kehle war ausgedörrt, ihr Mund trocken, und als sie ihren Rock ausschüttelte, huschte ein giftgrüner Gecko zwischen ihren Füßen hervor und verschwand im Geröll.
    Sie beschattete ihre Augen mit der flachen Hand und blickte über das Meer, eine Gewohnheit, mit der sie bald brechen konnte, denn dann würde sie selbst diejenige sein, die dort draußen war, unterwegs zum anderen Ende des Ozeans.
    Ein Schiff war am Horizont zu sehen, lang und schlank und mit weißen Segeln– und es näherte sich rasch dem Hafen. Doch es konnte unmöglich real sein, höchstens ein Überbleibsel aus einem Traum von vorhin, als sie geschlafen hatte, auch wenn sie sich nicht erinnerte, geträumt zu haben.
    Es war eine Fregatte wie die Elise. Mit den gleichen Aufbauten, der rötlichen Farbe des Rumpfs, dem tief stehenden Bugspriet, dem spitz zulaufenden Galion. Elizabeth starrte das Schiff mit verengten Augen an, und dann sah sie die Gestalt auf dem Schanzkleid stehen. Winzig von hier oben aus, kaum mehr als ein Punkt.
    Sie bewegte die Lippen zu einem stummen Gebet, während sie ihre Rocksäume hochraffte und loslief. In halsbrecherischen Sätzen rannte sie den Hügel hinab, stolperte mehrmals über Steine oder Wurzeln, prallte unterwegs mit einem der Sklaven zusammen, stürzte ins Tabakfeld, rappelte sich wieder hoch und hastete weiter. Keuchend und mit jagendem Herzschlag stürmte sie an Deirdre vorbei, die mit Johnny die Hühner fütterte und erschrocken den Kopf hob, als sie Elizabeth so unvermittelt auftauchen sah. Gleich

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