Wind der Gezeiten - Roman
Weil sie niemanden hat, dem sie etwas bedeutet. Ich weiß viel über die Leute auf Barbados, William. Manches höre ich von anderen, und manches sehe ich in den Augen der Menschen, mit denen ich zu tun habe. Soll ich dir sagen, was ich über deine junge Mulattin weiß? Ihr ganzes Leben war ein einziger verzweifelter Kampf. Um Liebe, um Anerkennung, um Geborgenheit. Wer von euch Noringhams hat ihr das je gegeben, hein? Mal lebte sie bei den Negern in einer Hütte, mal beim Gesinde in den Dienstbotenkammern. Sie hatte niemanden, zu dem sie wirklich gehörte. « Claires Augen verwandelten sich in grüne Schlitze. » Ich kann ihr das alles geben, William. Meine Mädchen sind wie meine Schwestern. Wir achten einander, eine steht für die andere ein. Für jede von ihnen würde ich durchs Feuer gehen, und dasselbe täten sie für mich. Und hast du Jacques gesehen? Er würde für mich sterben, und das nicht etwa wegen meiner schönen Augen. Sondern weil er weiß, dass er hierhergehört. Zu mir. «
Vernichtet hatte William ihr zugehört. Ihm war schlecht. Mit grausamer Treffsicherheit hatte Claire seine verwundbarsten Stellen bloßgelegt. Sie hatte Fragen aufgeworfen, die er sich selbst schon lange hätte stellen sollen. Etwa, welche Wünsche Celia hatte. Was sie sich vom Leben erträumte. Die Wahrheit war beschämend und ließ ihn schlecht dastehen. Dennoch kam es unter keinen Umständen infrage, dass Celia hierblieb. Er straffte sich.
» Manches von dem, was du sagst, trifft zu, Claire. Trotzdem werde ich nicht zulassen, dass Celia ein Leben führt, wie du es ihr in Aussicht stellst. Ich erlaube es nicht. Wenn sie Seidenkleider will, kaufe ich ihr welche. Und Perlen auch. Und sie kann lesen, meine Mutter hat es sie gelehrt. « Er erhob sich. Im Schminkspiegel sah er, dass seine Gestalt das schmale Zimmer fast zur Hälfte ausfüllte. Mit einem Mal fühlte er sich selbstsicher und voller innerer Klarheit. » Ich gehe sie jetzt holen und nehme sie mit nach Hause. Sie gehört zu mir. « Mit vagem Erstaunen lauschte er seinen Worten nach. » Sie gehört zu mir « , wiederholte er, leise und eher für sich. Anne hatte recht. Die Liebe, von der sie gesprochen hatte, war die ganze Zeit da gewesen. Er hatte es nur nach Kräften verdrängt, weil er davon überzeugt gewesen war, an die Grenzen des Verbotenen zu rühren. Er hatte Mauern gegen die Gefühle erbaut. Eine um sich selbst und die andere um Celia. Und das alles, weil er geglaubt hatte, das Richtige zu tun. In Wahrheit hatte er alles ruiniert. Doch noch war nichts verloren. Er würde um sie kämpfen.
Claire musterte ihn, ihr Blick war unergründlich.
» Zwingen wirst du sie zu gar nichts. Aber du kannst dein Glück ja versuchen. «
Sie lag auf dem Lotterbett in dem roten, nach Parfüm riechenden Boudoir und schlief. Seitlich zusammengerollt wie ein Kind, eine Hand unter die Wange geschoben und die andere um die Knie geschlungen, wirkte sie verwundbar und schutzlos. Sie trug ein sauberes Hemd, das ihr bis zu den Knöcheln reichte. Ihr Haar war offen und floss wie dunkle Seide über ihren Rücken. William blieb neben dem Bett stehen und betrachtete sie lange. Im Schein der Nachtleuchte, die Claire ihm mitgegeben hatte, war Celia schön wie ein dunkler Engel. Hier hatte Claire mit ihren Lobpreisungen nicht übertrieben, doch das hatte William von jeher auch selbst gewusst. Wie oft er in seinem Leben schon bei irgendwelchen Beschäftigungen hatte innehalten müssen, nur um Celia anzuschauen, konnte er rückblickend schon gar nicht mehr zählen. Meist hatte er sich dafür zur Ordnung gerufen, statt sich einfach an ihrem Anblick zu erfreuen und ihre Schönheit zu bewundern. Zum ersten Mal, seit er sie kannte, stand er nun vor ihr und tat genau das. Nichts drängte ihn mehr, den Blick abzuwenden, so wie er es früher immer getan hatte. Er konnte nicht aufhören, sie anzusehen und jedes noch so nebensächliche Detail ihrer Erscheinung in sich aufzunehmen.
Er hatte nicht gewusst, dass ihr Haar so lang war. Sonst trug sie es immer geflochten oder zu einem festen Knoten eingerollt. Unter ihrem Ohr war ein kleiner Leberfleck, den er vorher auch noch nicht gesehen hatte. Wie sie unter dem Hemd aussah, wusste er. Er hatte sich im Waschhaus am Anblick ihrer Nacktheit geweidet, jeder Zoll ihres Körpers war betörend und makellos. Nur an den Beinen hatte sie ein paar Narben, die stammten vom letzten Jahr. Die Bluthunde hatten sie gebissen, als die Sklavenjäger sie im Dschungel
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