Wind der Gezeiten - Roman
immer viele Monate gedauert, bis die Sehnsucht nach einem warmen Frauenkörper wieder so übermächtig geworden war, dass es ihn erneut ins Chez Claire getrieben hatte.
» Kann ich dir etwas zu trinken anbieten? «
» Nein, danke. Ich möchte wirklich einfach nur zu Celia. Wo ist sie? «
» Nebenan im roten Zimmer. «
William sprang auf und stieß dabei den Schemel um. Er hatte die Hand schon am Türknauf, als Claire ihn zurückhielt.
» Keine Angst. Es ist niemand bei ihr. Sie war restlos erledigt, als sie hier ankam. Wofür hältst du mich? «
» Das weiß ich nicht « , sagte William reserviert. Zögernd setzte er sich wieder. Claire lächelte ihn sonnig an.
» Wahrscheinlich schläft sie längst. Der Fußmarsch von Summer Hill nach Bridgetown hat ihr den Rest gegeben. Ich schätze, sie war seit dem Morgengrauen auf den Beinen und sowieso schon halb tot von all der Arbeit, zu der du sie tagein, tagaus zwingst. «
» Hat sie das gesagt? Dass ich sie zum Arbeiten zwinge? «
Claire lachte perlend.
» Ach Guillaume, das war ein Scherz. Jeder hier auf der Insel weiß, dass du niemanden zwingen musst, für dich zu arbeiten. Weil sich nämlich alle, die dir unterstehen, darum reißen. « Ihr Gesicht wurde ernst. » Trotzdem schuftet sie sich halb tot, und behaupte bloß nicht, dass das nicht stimmt. «
» Ich habe ihr schon öfter gesagt, dass sie nicht so viel arbeiten soll « , verteidigte William sich. » Wir haben genug Leute auf Summer Hill. Ich weiß wirklich nicht, warum sie immer so viel selbst macht, wenn es doch genauso gut auch andere erledigen könnten. «
» Vielleicht tut sie es, weil du genauso viel schuftest. Sie betrachtet dich als Vorbild, William. Sie vergöttert dich, weißt du? «
» Das ist Unfug « , sagte er steif.
» Wenn du meinst « , versetzte sie obenhin. Mit halb gesenkten Lidern setzte sie hinzu: » Sie ist eine wunderschöne Frau. Die schönste, die ich je sah. Sie ist ihr Gewicht in Gold wert, und das ist keine Übertreibung. Die Männer werden ihr zu Füßen liegen, ihr Juwelen umhängen und sie mit Goldstücken überhäufen. Sie könnte die elegantesten Kleider tragen. Die neueste Mode aus Frankreich. Wenn es ihr hier auf Barbados zu langweilig wird, könnte sie überallhin gehen. Nach London, Paris, Venedig… Die ganze Welt steht ihr offen. «
William hatte ihr mit wachsendem Entsetzen zugehört.
» Schlag dir das aus dem Kopf! Sie kommt mit mir zurück nach Summer Hill! «
» Aber vielleicht will sie das ja gar nicht. Vielleicht ist sie es leid, ständig in dreckigen, löchrigen Kitteln herumzulaufen und mit den Hähnen aufzustehen. Vielleicht möchte sie ein einziges Mal in ihrem Leben ein Kleid aus Seide tragen und einen Unterrock aus Spitze. « Claire spielte mit der Perlenkette, die um ihren makellos weißen Hals hing. » Vielleicht möchte sie einmal echten Schmuck besitzen. « Sie deutete auf das Buch, das aufgeschlagen auf ihren Knien lag. » Oder ein Buch lesen. Habt ihr das Mädchen lesen lernen lassen, William? « Sie hatte aufgehört, ihn Guillaume zu nennen, und jeder neckische Ton war aus ihrer Stimme verschwunden. Ein harter Zug lag um ihren Mund. » Soll ich dir sagen, warum sie hier ist? Ich hatte es ihr vor langer Zeit angeboten. Und zwar gleich, als ich sie das erste Mal traf, das war… warte, vor ungefähr drei Jahren. Ich hatte sie auf dem Markt gesehen. Sie trottete mit Einkäufen beladen hinter deiner Mutter her, barfuß und in ihrem hässlichen grauen Kattunkittel, einen ausgeleierten Turban um den Kopf, und sie war dennoch das schönste Geschöpf, das ich je sah. Ich fragte deine Mutter, ob ich Celia kaufen könnte, was sie sehr unhöflich ablehnte. « Claire grinste flüchtig. » Danach wartete ich, bis sie mit einem Händler um einen Stoffballen feilschte, und während sie damit beschäftigt war, nahm ich Celia zur Seite. Ich sagte ihr: Mädchen, wenn du jemals deine Freiheit bekommst und nicht weißt, wohin– komm zu mir, und ich schwöre dir, dass du es gut bei mir haben wirst. « Claire schüttelte den Kopf. » Natürlich wollte sie davon nichts wissen. Wir konnten auch nicht groß drüber reden, denn in dem Moment kam deine Mutter zurück. «
» Ich weiß davon « , sagte William ablehnend. » Sonst hätte ich nicht gleich als Erstes hier nach ihr gesucht. «
Claire achtete nicht auf seinen Einwurf.
» Sie ist nicht hier, weil sie eine Hure werden will. Welches Mädchen will das schon? Nein, sie ist hergekommen, weil sie allein ist.
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