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Wind der Gezeiten - Roman

Wind der Gezeiten - Roman

Titel: Wind der Gezeiten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Kräfte zu schonen. Schon deshalb, damit es für Elizabeth keinen weiteren Grund zur Aufregung gab. Die vergangene Nacht hatte sie viel Kraft gekostet. Sie musste jetzt ausschlafen und sich erholen. Genau wie der Kleine. Er selbst würde versuchen, es ihnen gleichzutun; die nächsten Stunden würde er vermutlich ohnehin nichts anderes unternehmen können, außerdem war er hundemüde. Das Morgengrauen wich mattem Tageslicht, während er zwischen den Soldaten über den festgetretenen Lehmpfad in Richtung Garnison trottete. Dort würden sie ihn zweifellos in eine Arrestzelle sperren, bis der Gouverneur geruhte, ihn vorführen zu lassen.
    Er blickte hinunter zum Hafen, wo sich vor dem heller werdenden Himmel eine Vielzahl von Schiffen abzeichnete, überragt von einem Wald aus Masten und Segeln. Eines dieser Schiffe war die Elise. So nah und doch so fern. Ein paar Stunden, höchstens ein Tag, und sie wären fort gewesen. Der Teufel sollte Eugene Winston und dessen Rachsucht holen! Stumm verfluchte Duncan den Kerl. Und sich selbst ebenfalls. Bittere Schuldgefühle bemächtigten sich seiner. Er hätte all das kommen sehen müssen. Lange, bevor die von Cromwell gedemütigten Pflanzer im Inselrat ihre Verschwörung gegen ihn aushecken konnten. Warum war er nicht auf der Hut gewesen? Den Kopf voller düsterer Gedanken, stapfte er den Soldaten hinterher.

5
    W illiam Noringham ging zwischen Hibiskusstauden und Farngewächsen hindurch zur Zuckermühle. Der Aufseher sah William kommen und fing prompt an, die Sklaven zu rascherer Gangart anzutreiben, doch unter der sengenden Mittagssonne beschleunigte kaum einer von ihnen seine Schritte, auch nicht als William auf der Bildfläche erschien. Sie wussten, dass ihnen keine Schläge drohten, niemand wurde hier mit der Peitsche zur Arbeit genötigt. Die meisten gaben ohnehin ihr Bestes. William hatte schon vor einer Weile ein ausgeklügeltes System von Belohnungen und Vergünstigungen eingeführt, das sich an der Arbeitsleistung ausrichtete. Es gab Zusatzrationen, Schuhwerk, Kleidung, Kochgeschirr, Nähzeug, Kerzen– was immer den Schwarzen half, ihr Leben ein wenig einfacher und erträglicher zu gestalten. Jene, die schon länger in seinen Diensten standen und sich als fleißige Arbeiter bewährt hatten, durften kleine Äcker bestellen und dort Gemüse und Früchte ziehen. Schwangere Frauen und Kranke mussten nicht arbeiten, und die Kinder seiner Sklaven wurden weder verkauft noch aufs Feld geschickt. Auf Summer Hill lebten sogar einige schwarze Arbeiter, die keine Sklaven mehr waren. Bei ihrer Freilassung hatte William sich an der für die irischen Schuldknechte geltenden Regelung orientiert– wer sieben Jahre gedient hatte, erhielt die Freiheit und konnte gehen, wohin er wollte. Gern hätte er diese Bestimmung auch in die von ihm mitgeschaffene Verfassung aufgenommen, doch damit war er im Rat der Pflanzer gescheitert. Keiner der anderen war gewillt, auf Eigentum und Vermögen zu verzichten. Was das anging, galt William ohnehin von jeher als weichherziger Sonderling und idealistischer Dummkopf, der aufgrund seiner aristokratischen Herkunft zu wenig von der harten Realität des Lebens verstand. Die Neger, so lautete die allgemeine fest gefügte Meinung, müsse man mit aller Härte zur Arbeit treiben, um Gewinn aus ihnen zu ziehen.
    Manch einen dieser Sklaven schindenden Plantagenbesitzer verdross es daher nicht wenig, mit welchem Fleiß die Schwarzen auf Summer Hill bei der Sache waren. Nirgends auf der Insel gab es weniger Todesfälle und Krankheiten unter den Arbeitern und Sklaven, auf keiner anderen Plantage war, gemessen an der bepflanzten Fläche, die Ernte reichhaltiger.
    Die Last der gebündelten Zuckerrohre auf dem Rücken, stapften die Sklaven und Knechte in langen Reihen von den Feldern zur Mühle. Das Mahlwerk, pausenlos in Bewegung gehalten von zwei starken, im Kreis gehenden Zugochsen, lief von früh bis spät. Der ausgepresste Saft floss über Holzrinnen zur Siedehütte, wo andere Arbeiter damit beschäftigt waren, die gelbliche Flüssigkeit in dampfenden Kesseln einzukochen und zu klären. Die Männer und Frauen an den großen Gefäßen rührten und schöpften, ihre zumeist nur mit Lendenschurzen oder dünnen Baumwollhemden bekleideten Körper nass geschwitzt in der Hitze, die von den großen gemauerten Öfen abstrahlte. Rauch umwaberte die nach allen Seiten offene Hütte und mischte sich mit dem süßlichen Duft der Melasse.
    William besprach sich kurz mit dem

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