Wind der Gezeiten - Roman
Soldaten. Ich glaube, sie wollen Euch verhaften. «
Sie waren zu sechst, und sie waren schwer bewaffnet. Eugene Winston hatte an alles gedacht. Auf seinem rundlichen Gesicht, das von einem allzu gesegneten Appetit zeugte, spiegelte sich ein schadenfrohes Lächeln, während er ein Dokument entrollte und sich gewichtig dabei räusperte.
» Duncan Haynes, im Namen des Parlaments sei Euch hiermit kundgetan, dass Ihr unter Arrest steht. «
» Und wie lautet die Anklage? Ich nehme doch an, es gibt eine. «
Eugene Winston, der wie üblich versucht hatte, seine leicht dickliche Gestalt und den Ansatz eines Doppelkinns mit vornehmer Kleidung zu kaschieren, strich über das Spitzenjabot vor seiner Brust, bevor er sich wieder dem Dokument widmete.
» Euch wird Hochverrat vorgeworfen. «
» Ah. Hochverrat also. Das ist erfinderisch. Wer hat das Dokument aufgesetzt? Ihr persönlich? «
Eugene Winston erhob sich auf die Spitzen seiner eleganten Schnallenschuhe. Er genoss diesen Auftritt sichtlich.
» Wer immer es verfasste– wichtig ist allein, wessen Unterschrift und Siegel darunter zu finden sind. Und wie Ihr leicht erkennen könnt, stammt beides vom Gouverneur. «
Frederic Doyle, der neue Gouverneur, war erst vor wenigen Wochen aus England nach Barbados gekommen und interessierte sich mehr für seine Pferdezucht und fröhliche Geselligkeit als für die Politik. Er veranstaltete laufend Tanzfeste und trank mehr Rum, als einem Mann guttun konnte. Die mit seinem Amt einhergehende Verwaltungsarbeit hatte er bereitwillig dem Mann übertragen, der sich mit den Belangen der Insel auskannte und auch schon dem früheren Gouverneur als Adjutant gedient hatte: Eugene Gerald Winston.
Die eigentlichen Regierungsgeschäfte auf der Insel wurden ohnehin vom Rat der freien Pflanzer geführt, dem auch Lord William Noringham angehörte. Eugene hatte es irgendwie geschafft, aus der ursprünglich vom Rat beschlossenen Vorladung eine Verhaftung zu machen.
Duncan ließ seinen Blick über die Soldaten schweifen und schätzte seine Möglichkeiten ab. Sechs kräftige, gut ausgebildete Männer. Sie gehörten allesamt zu der Besatzungstruppe, die nach der Rebellion von der Admiralität auf die Insel abkommandiert worden war. Ihre Mienen waren im Licht der mitgeführten Fackeln grimmig und wachsam, und die Art, wie sie die Musketen aufgepflanzt hatten, ließ keinen Zweifel daran, dass sie sich auf deren Benutzung verstanden.
Er hatte den Gedanken an einen Kampf bereits verworfen, bevor er richtig Gestalt annehmen konnte.
» Ich komme mit « , sagte er höflich zu Eugene.
Der blickte verdattert drein; anscheinend hatte er mit Gegenwehr gerechnet. Oder doch wenigstens mit wütenden Protesten.
» Bis zum Abend bin ich zurück « , sagte Duncan an Sid gewandt. » Du weißt, was du zu tun hast. Sag Mylady, dass es nur eine Formsache ist. Nichts, worüber sie sich Sorgen machen muss. «
Eugene grinste verhalten, als er das hörte. Er schien sich seiner Sache sehr sicher zu sein.
» Legt ihm die Ketten an « , sagte er zu den Männern.
» Wenn Ihr das tut, töte ich Euch, Eugene. « Duncans Stimme war sanft. » Als Ersten. Mit meinen bloßen Händen, bevor Ihr wisst, wie es geschehen konnte. « Er lächelte freundlich. » Ich sagte doch, ich gehe freiwillig mit. Ich leiste keinen Widerstand. Ihr habt mein Wort. «
Eugene schluckte. Sein Adamsapfel hüpfte, und er blickte hastig von Duncan zu den Soldaten und wieder zurück, als wollte er prüfen, wie ernst er Duncans Drohung nehmen musste. Offensichtlich kam er zu dem Ergebnis, dass es besser war, das Schicksal nicht herauszufordern.
» Nun gut, auf Euer Wort, Haynes. Männer, nehmt ihn in die Mitte. Und schießt ihn tot, wenn er versucht wegzulaufen. « Hämisch sah er zu, wie die Männer Duncan zum Tor hinaus eskortierten, bevor er sich dem kleinen Zug anschloss, die korpulente Gestalt siegesbewusst aufgerichtet. Duncan sah Eugenes Grinsen und musste an sich halten, um es dem Kerl nicht aus der Visage zu prügeln. Sein Inneres vibrierte förmlich vor Zorn, er war bereit, jedem an die Gurgel zu gehen, der Anstalten machte, ihn zu berühren. Hätte in diesem Augenblick jemand gewagt, Hand an ihn zu legen, so hätte es bestimmt Tote gegeben, Eugene vorneweg. Der junge Bursche schien das zu ahnen; er hielt sicheren Abstand zu ihm, was wiederum Duncan half, sich zu besinnen und ruhiger zu werden. Seine Situation würde sich nur verschlimmern, wenn er aus der Haut fuhr. Er tat besser daran, seine
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