Wind der Gezeiten - Roman
sage nichts dazu, denn jedes Wort wäre nur eine Verschwendung kostbaren Atems. «
Doyle blickte ihn an. Die Verblüffung in seiner Miene wich schlagartig einem Ausdruck hellen Zorns. Der Delinquent wagte es, nicht mitzutun! Eugene sah das Unheil kommen und holte schnaufend Luft, doch der Gouverneur sprach bereits weiter. Seine Stimme bebte vor Entrüstung.
» Ich spreche somit folgendes Urteil gegen Euch aus: Ihr sollt für Eure Tat büßen, indem Ihr gehängt, ausgeweidet und gevierteilt werdet. Das Urteil wird in drei Tagen zur Mittagsstunde vollstreckt. Gott sei Eurer Seele gnädig. «
7
E in Klopfen an der Tür unterbrach Claire Dubois bei dem, was ihr am meisten Geld eintrug. Unwillig hob sie den Kopf.
» Was ist? « , fragte sie.
» Madame, Ihr habt Besuch. «
» Ich habe hier Besuch. «
» Sie sagt, es geht um Leben und Tod. «
» Sie? «
Ein Räuspern tönte durch die geschlossene Tür.
» Es ist Mylady. «
Es gab nur eine Mylady auf Barbados. Elizabeth Haynes wurde noch immer von allen Leuten so tituliert, obwohl sie schon in zweiter Ehe verheiratet und keiner ihrer Ehemänner von Adel war. Als Tochter eines Viscounts stieg man anscheinend niemals in die Niederungen des Bürgertums hinab.
» Sie soll in meiner Kammer warten. «
Draußen auf dem Gang entfernten sich die Schritte der Dienstmagd, und Claire beugte sich wieder über ihren Kunden.
» Verzeih die Unterbrechung. «
» Wer ist Mylady? « , wollte der Mann wissen. Er konnte Elizabeth Haynes nicht kennen, denn er war zum ersten Mal auf Barbados, ein aufstrebender, junger Händler von einem englischen Kauffahrer. » Gibt es etwa eine echte Lady auf dieser Insel? «
» Nein, das ist nur ein Spitzname für eine unwichtige Bekannte, die sich manchmal gern für was Besseres hält. Und jetzt zeig mir, wie sehr du mich begehrst. «
Danach war Claire still und er ebenso bis auf ein gelegentliches Keuchen, das zum Schluss in ein lautes, abgehacktes Stöhnen überging. Claire war gut darin, den Männern zu gefallen. Sie zahlten alle bereitwillig den geforderten Preis, denn es war etwas Besonderes, von ihr in dieses Gemach mitgenommen zu werden. Nicht jeder war im Chez Claire willkommen. Sie konnte es sich leisten, nur denen Zutritt zu gewähren, die es ihr lohnenswert erscheinen ließen. Mitglieder des Rats, reiche Pflanzer, wohlhabende Händler und Schiffseigner. Mittlerweile ging es ihr besser denn je. Im vorigen Jahr war ihr Etablissement durch die Flutwelle, die der Hurrikan mit sich gebracht hatte, vollständig zerstört worden, doch sie hatte es an derselben Stelle wieder aufgebaut, schöner und größer als vorher.
Das Zimmer, in dem sie ihre Freier empfing, lag wie in dem früheren Gebäude über der Schenke. Von unten tönte der Lärm der Zecher herauf, ein beruhigendes Geräusch, denn solange sie laut waren, tranken sie viel Schnaps, was wiederum eine Menge Geld in ihre Kasse spülte.
Hier oben im Zimmer war die Luft zum Schneiden dick, und es war immer noch mörderisch heiß, obwohl die Sonne bereits untergegangen war. Durch die geschlossenen Läden drang mattes Dämmerlicht. Die Laken waren durchgeschwitzt und mussten dringend gewechselt werden. Die Kerze in der Ecke war fast herabgebrannt, der Docht fing schon an zu qualmen. Claire setzte sich auf und streckte sich. Der Mann neben ihr murmelte einen Protest, doch sie achtete nicht auf ihn. Er hatte bekommen, wofür er bezahlt hatte.
» Du musst gehen « , sagte sie.
» Wieso? Der Tag ist doch noch jung. « Er streckte die Hand aus und wollte eine ihrer Brüste umfassen, doch sie schlug ihm spielerisch auf die Finger.
» Lass das. Und jetzt raus mit dir. Du kannst nächste Woche wiederkommen, wenn du willst. Aber melde dich rechtzeitig an. «
Er wollte widersprechen, doch sie schnitt ihm das Wort ab, indem sie ihm sein Hemd über das Gesicht warf, worauf er verstummte und sich grummelnd anzog. Sie selbst wusch sich sorgfältig hinter einem seidenen Paravent, dann zog sie ein frisches Unterkleid an, darüber das Mieder aus Fischbein sowie ein dünnes Musselinkleid in Flieder, ein Farbton, der sich auf den ersten Blick mit ihrem roten Haar biss, aber in Wahrheit den leuchtenden Kupferton unterstrich und außerdem die zarte Röte ihrer Wangen betonte. Sie warf ihrem jungen Freier eine Kusshand zu, bevor sie nach nebenan in ihre Schlafkammer ging, das Zimmer, in das sie niemals Männer mitnahm. Es war schlicht eingerichtet, mit einem schmalen Bett, einer einfachen Kommode und
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