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Wind der Gezeiten - Roman

Wind der Gezeiten - Roman

Titel: Wind der Gezeiten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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darunter manchmal auch solche, die ich gut kannte– warum sollte es mich in seinem Fall stören? « Claire stellte mit einem Ruck den Becher auf der Kommode ab. In dem Wandspiegel, der darüber hing, sah sie, dass ihr Gesicht sich verzerrt hatte. Sie machte eine unwillige Handbewegung und brachte damit die Talgleuchte auf der Kommode fast zum Verlöschen.
    » Ich will ihn retten und werde alles dafür tun « , sagte Elizabeth. Ihre Stimme zitterte unmerklich. » Wir wissen beide, dass Ihr immer an einem guten Handel interessiert seid. Es heißt, dass Ihr eine der geschäftstüchtigsten Frauen auf der Insel seid. Ihr besitzt nicht nur dieses… Haus, sondern auch diverse andere Güter, beispielsweise eine Zuckermühle, eine Saline, einen Kaufladen und ein paar Fischerboote. Überall auf Barbados arbeiten Leute in Eurem Auftrag und für Eure Rechnung und erhöhen Eure Gewinne. Ihr seid dafür bekannt, dass Ihr Euer Vermögen stetig mehrt, aber ebenso dafür zu haben seid, Euch weitere Einnahmequellen zu erschließen. «
    » Ihr seid gut informiert. «
    » Nicht so gut wie Ihr. Niemand weiß so viel über andere Menschen wie Ihr. Vor allem über die Menschen, die auf Barbados die Macht ausüben. «
    Dem konnte Claire nicht widersprechen. Es gab kaum ein Geheimnis auf Barbados, das sie nicht kannte. Mit nichts auf der Welt ließ es sich besser handeln als mit dem Wissen über die dunklen Seiten von anderen. Solches Wissen verschaffte Macht und war daher kaum mit Gold aufzuwiegen. Wann immer sich die Gelegenheit ergab, sich derartige Informationen zu verschaffen– Claire setzte alles daran, ihrer habhaft zu werden. Das war schon immer ihre Devise gewesen, denn nur wer mehr wusste als andere, konnte sich im Leben die Vorteile verschaffen, die einen vom Abschaum in der Gosse trennten.
    Vor über drei Jahren war sie gemeinsam mit Elizabeth auf die Insel gekommen, mit demselben Schiff, aber unter denkbar unterschiedlichen Voraussetzungen: Elizabeth als Tochter eines reichen Hochadligen und Ehefrau eines hoffnungsvollen Pflanzerssohns, ausgestattet mit einer Mitgift von schwindelerregender Höhe, und sie selbst mit nichts als ein paar eleganten Kleidern und dem, was der Verkauf ihrer Juwelen ihr eingebracht hatte. Und ihrem Körper, der ihr größtes Kapital war.
    Wachsam sah sie ihre Besucherin an. Allmählich dämmerte ihr, auf welche Art von Hilfe Elizabeth aus war. Doch etwas in ihr sträubte sich dagegen, die Frau länger anzuhören. Die Kränkung, die Duncans Zurückweisung ihr zugefügt und die sie überwunden geglaubt hatte, war so plötzlich wieder da, als hätte sie all diese schmählichen Empfindungen erst gestern durchlitten. Worte drängten sich auf ihre Zunge. Sie wollte Elizabeth fortschicken, sie loswerden, ebenso wie alle Erinnerungen an diesen kaltherzigen, lächelnden Herzensbrecher. Aber nur einen Lidschlag später wich diese Aufwallung von Hass einer spekulativen Neugier. Schon immer hatte sie einen guten Handel riechen können, bevor noch jemand ein Wort darüber äußerte. Und diese Sache hier roch nach einem sehr guten Handel.
    » Kommt zur Sache « , sagte sie ein wenig unwirsch. » Weshalb seid Ihr hier? «
    Elizabeth umfasste die Lehnen des Stuhls und beugte sich vor, den ausladenden Bauch wie eine große Kugel auf ihren Schenkeln. Ihre Stimme klang wieder so fest wie zu Beginn.
    » Ich will Euch etwas abkaufen– Eure Hilfe und Euer Wissen. Und ich zahle gut. «

8
    D eirdre saß kurz vor dem Erreichen ihres Ziels ab und führte den Wallach am Zügel neben sich her. Es ging hügelaufwärts. Immer wieder rutschte das Pferd mit den Hufen ab, es sträubte sich und blieb ständig stehen. Hier war der Dschungel noch dicht und urtümlich, die nächsten menschlichen Behausungen waren meilenweit entfernt. Von dem vorangegangenen Regenguss dampfte die Erde. Glitzernd tropfte die Feuchtigkeit aus den langen Moosfäden, die überall wie Haar von den Bäumen hingen. Immer wieder musste Deirdre auch Schlingpflanzen beiseitestreifen, die an jeder Wegbiegung aufs Neue nach ihr zu greifen schienen. Der Pfad war überwuchert von all diesen Gewächsen. Überdies war er schmal und rutschig, bei jedem dritten Schritt glitt sie aus und hatte Mühe, den Wallach zum Mitkommen zu bewegen. Sie atmete auf, als sie endlich den roten Felsen vor sich sah, die Wegmarke, an der sie erkannte, dass sie fast da war. Hinter dem zerklüfteten Steinklotz zog sie den Gaul ein letztes Stück vorwärts bis zu einer verwachsenen

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