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Wind der Gezeiten - Roman

Wind der Gezeiten - Roman

Titel: Wind der Gezeiten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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waren für einige Augenblicke Herrscher über Leben und Tod gewesen. Zwischen ihr und dem großen, stummen Mann hatte eine rätselhafte Verbindung bestanden, ein Einvernehmen, durch das sie seine Gedanken so deutlich gespürt hatte, als hätte er sie ausgesprochen. Sie hatten gemeinsam ein Kind gerettet und die Mutter dazu. Es konnte nur Gottes Wille gewesen sein, davon war sie überzeugt. Aber Edmond würde das, was sie und Oleg getan hatten, vielleicht für Teufelswerk halten. Es war besser, er erfuhr es gar nicht erst. Master Duncan hatte Jerry verboten, es herumzuerzählen. Er wollte nicht, dass seine Frau im Mittelpunkt von Gerede stand. Oleg sprach ohnehin nicht darüber, also konnte auch sie schweigen. Niemand musste davon wissen. Sie kannte Frauen, die aus weit harmloseren Gründen der Hexerei bezichtigt worden waren. Irgendwer fand sich immer, der einen beim nächstbesten Richter anschwärzte. Dafür reichten die nichtigsten Anlässe.
    Edmond setzte den Hut auf. Die Binsen hingen ihm ins Gesicht, und Deirdre musste lachen, weil es komisch aussah.
    » Ich glaube, als Hutmacher muss ich noch viel lernen. « Er lächelte verschmitzt und sah in diesem Augenblick so unwiderstehlich aus, dass es sie fast körperlich schmerzte, ihn nicht umarmen zu dürfen. Doch auf dem Weg zum Strand hakte sie sich kurzerhand bei ihm ein, dagegen war nichts einzuwenden. Er versteifte sich und blickte sich rasch um, aber es war niemand zu sehen. Zögernd entspannte er sich, und gemeinsam gingen sie zum Strand. Das Meer erstreckte sich in funkelndem Türkisblau von den Rändern der feinsandigen Bucht bis zum Horizont, überdacht von einem strahlenden, wolkenlosen Himmel. Hinter ihnen ragten steil die Bergketten auf, in allen Schattierungen von Grün. Nach den eher sanften Hügeln, die Deirdre von Barbados kannte, muteten diese hohen Gipfel seltsam an. Sie hatte gehört, dass manche von ihnen Rauch ausspien, und im Landesinneren sollte es sogar kochende Seen geben, aus denen Höllendämpfe emporstiegen. Einladende Strände wie auf Barbados gab es auf Dominica kaum; diese Bucht war eine der wenigen Ausnahmen. Vielerorts gab es jäh abfallende Klippen, die meisten Küstenabschnitte waren schroff und felsig und von unberechenbaren Untiefen gesäumt. Lady Elizabeth würde ihre Badeausflüge einschränken müssen, dachte Deirdre, während sie mit Edmond durch den Sand stapfte und versuchte, diesen unerwarteten gemeinsamen Ausflug zu genießen.
    Er ging schneller, auf einmal erschien er ihr merkwürdig zielstrebig, als wüsste er genau, wohin er wollte.
    Dann sah sie das Boot.
    Oleg hatte es sich auf einem Felsen oberhalb der Bucht bequem gemacht und beobachtete einen Leguan. Das vorsintflutliche Tier hatte seinen Platz im Geäst eines Baums verlassen und sich auf Futtersuche begeben. Oleg schaute zu, wie die grüne Echse Schnecken von den Felsen pflückte und sich danach den Inhalt eines Vogelnestes einverleibte. Bisher hatte er immer geglaubt, Leguane ernährten sich nur von Pflanzen, doch dieser dort schien neben Früchten und Blättern auch tierische Kost nicht zu verschmähen. Sogar ein toter Frosch stand auf seinem Speiseplan, wie Oleg als Nächstes sehen konnte. Fasziniert sah er zu, wie die fast mannsgroße Echse einen hohen Felsen erklomm, offenbar auf der Suche nach weiterer Nahrung. Der steile Anstieg forderte die Kletterkünste des Tieres heraus, aber es war den Schwierigkeiten nicht gewachsen– es rutschte ab und plumpste aus mindestens zehn Fuß Höhe auf den sandigen Boden zurück. Doch der Sturz schien ihm nicht viel auszumachen. Sofort richtete es sich wieder auf und schnappte reflexartig nach einem vorbeiflatternden Falter, der die Größe einer Faust hatte. Das Insekt verschwand im gezähnten Maul des Leguans, während dieser bereits nach dem nächsten Fang Ausschau hielt.
    Plötzlich verharrte das Tier. Absolut reglos verschmolz es mit der Umgebung, und Oleg tat es ihm gleich, als er die Stimmen hörte. Der Priester und Deirdre. Sie kamen über den Strand näher. Der Leguan wähnte sich in Gefahr und suchte das Weite, wobei er eine bemerkenswerte Geschwindigkeit an den Tag legte. Er floh auf allen vieren, stemmte sich aber zu Olegs Verblüffung nach wenigen Augenblicken auf die Hinterbeine hoch und rannte aufgerichtet die letzten Schritte bis zum Meer. Es war die einzige Fluchtrichtung, die dem Tier offen stand, denn hinter ihm befanden sich die Felsen und seitlich davor am Strand der Einbaum der Kariben. Platschend

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