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Wind der Gezeiten - Roman

Wind der Gezeiten - Roman

Titel: Wind der Gezeiten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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schwesterlicher Natur. Manchmal wachte sie in den frühen Morgenstunden auf, wenn draußen der Regen niederrauschte, und dann stellte sie sich vor, in seinen Armen zu liegen. In jenen traumverlorenen Momenten meinte sie beinahe zu spüren, wie er sie fest umschlang und küsste, während der Regen auf sie beide hinabströmte, wie ein gnädiges Zeichen des Himmels, als Segen für ihre Liebe. Es war nur ein Traum, doch er kehrte häufig wieder, immer an der Schwelle zum Erwachen und so intensiv, dass er sich auch tagsüber in ihre Gedanken stahl.
    Edmond war ein geweihter Priester, er hatte körperlicher Liebe und ehelichem Glück auf immer entsagt, doch Deirdre wusste, dass manche Priester sich einen Dispens geben ließen. Sie sprach niemals mit Edmond darüber– vermutlich hätte es ihn entsetzt, dass sie solche Gedanken überhaupt hegte–, doch es ging ihr nicht aus dem Sinn. Warum musste er noch länger ein Priester sein? Er hatte in der Karibik keine Pfründe und keine Gemeinde, es gab niemanden hier, der ihm den Wunsch nach einem weltlichen Leben übel nehmen würde. Keinen hätte es gekümmert, wenn er sich einfach über seine Gelübde hinweggesetzt hätte, sie am allerwenigsten– im Gegenteil, sie wünschte sich nichts mehr als das. Wenn er schon unbedingt in der Karibik bleiben wollte, wieso nicht als einfacher irischer Siedler, ohne den Zwang des Zölibats? Sie wusste, dass er sie begehrte, er war auch nur ein Mann. Jedes Mal, wenn sie bei ihm war, sah sie es in seinen Augen: Er reagierte auf ihre Reize und konnte es nicht verbergen. Häufig wurde er rot, wenn sie ihn anlächelte, und wenn sie dann versuchte, ihm näherzukommen, atmete er schneller.
    Sie zweifelte nicht daran, dass sie ihn glücklich machen konnte, nur ihm selbst schien diese Möglichkeit so fern zu liegen, dass er niemals auch nur eine winzige Andeutung darüber verlieren würde.
    » Ach Edmond. « Sie seufzte und nahm ihm das mit bröckeligen Resten übersäte Speisebrett weg. An seinem Mundwinkel haftete ein Krümel, und ohne nachzudenken, streckte sie die Hand aus und wischte ihn weg. Die Berührung seiner Lippen ließ ihre Fingerspitzen kribbeln, und er schien dasselbe zu spüren, denn tiefe Röte zog sich vom Kragenrand seines vielfach geflickten, aber wie immer sauberen Hemdes über seinen Hals hinauf in seine Wangen. Er räusperte sich.
    » Natürlich kann ich nicht für dich mit entscheiden, Deirdre. Wenn du lieber nach Dublin zurückwillst, möchte ich dir nicht dreinreden. «
    » Glaubst du wirklich, ich würde ohne dich zurückwollen? «
    Er zuckte die Schultern und gab keine Antwort.
    » Natürlich bleibe ich bei dir « , sagte sie.
    Die Röte in seinen Wangen verstärkte sich, und er nickte stumm.
    » Im Grunde bin ich froh, dass du bleiben willst « , behauptete sie. » Denn ich will ja auch nicht fort. Zwar glaube ich, dass du es in Dublin gut hättest, auf jeden Fall besser als hier. Aber ich entbehre hier ja nichts. Außerdem möchte ich Mylady und die Kinder nicht verlassen. Folglich trifft es sich gut, dass auch du hierbleibst, denn wir beide sind im Laufe der Zeit gute Freunde geworden. «
    » Das sind wir tatsächlich. « Seine Stimme klang rau. » Ich bin auch sehr froh, dass du hierbleibst. « Mehr sagte er nicht dazu, und sie wusste, dass dies das Äußerste war, was sie je an Worten der Zuneigung von ihm würde erwarten können.
    » Das Essen hat sehr gut geschmeckt « , platzte er heraus, als sei ihm jede Ablenkung recht. Er deutete ein wenig zögernd hinab zum Strand. » Es ist sehr heiß, aber hättest du… würdest du gern ein Stück mit mir am Meer spazieren gehen? «
    » Oh ja. Das würde ich sehr gern. « Sie tippte an ihren breitrandigen Strohhut. » Außerdem bin ich gut gegen die Sonne geschützt. «
    » Ich habe auch einen Hut. « Er sprang auf, verschwand in der Hütte und kam mit einem schiefen, aus Binsen geflochtenen Ding zurück, das eher einer Schüssel ähnelte als einer Kopfbedeckung. » Sieh nur, den habe ich selbst gemacht. Der große Kirgise hat mir gezeigt, wie es geht. «
    » Oleg? «
    » Ja. Er hat sehr geschickte Hände. «
    Ich weiß, wollte sie sagen, er kann mit nur einer Hand eine Schlinge knüpfen. Doch dann ließ sie es sein, weil sie ihm sonst womöglich von den schrecklichen Einzelheiten der Geburt erzählen musste. Dass sie mit ihrer bloßen Hand tief in Myladys Leib hineingefasst hatte, eine Erfahrung, die sie immer noch mit Entsetzen, aber auch Ehrfurcht erfüllte. Sie und Oleg

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