Wind der Gezeiten - Roman
klar, dass sie jederzeit selbst danach hätte fragen können, doch bisher hatten sie beide das Thema gemieden. In ihrem Inneren schnürte sich plötzlich alles zusammen. Sie ahnte, dass seine Antwort ihr nicht gefallen würde.
» In drei Tagen. « Er wandte sich Elizabeth zu, als wollte er um Verständnis bitten, doch sie hatte den Blick gesenkt. Mit tauben Fingern schob sie ihren Teller weg. Das eben noch so schmackhafte Essen schien ihr mit einem Mal ungenießbar.
13
D eirdre packte im Küchenhaus etwas kalten Fisch und Maisbrot in einen Korb und ging damit zu Edmonds Hütte. Sie hatte ihn vorhin nicht bei den anderen am buccan sitzen sehen. Er sonderte sich häufig von den übrigen Männern ab, denn die meisten waren rohe Kerle, die nicht viel auf Gottes Wort gaben. Sie unterwarfen sich allein den Befehlen ihres Kapitäns, dem sie sogar bis in die Hölle folgen würden. Nur wenige von ihnen gehörten dem katholischen Glauben an, und nicht einmal die hielten viel vom Beten. Den meisten reichte die Sonntagsmesse, aber auch die durfte nicht zu lange dauern.
Auf dem Weg zu der Hütte, die Edmond sich mit einigen anderen teilte, folgten Deirdre begehrliche und sehnsüchtige Blicke. Sie konnte es den Männern nicht verübeln, wenngleich sie darauf achtete, zu niemandem hinzusehen, um nur ja keine falschen Erwartungen zu wecken. Manch einer hätte sonst auf den Gedanken kommen können, sich zu nehmen, was sie nicht zu geben bereit war.
Auf Barbados hatte es genug willige Mädchen für alle Seeleute gegeben, doch Hafendirnen wie in Bridgetown suchte man hier in dem namenlosen Nest, das nur aus ein paar verstreuten Blockhütten und Schuppen bestand, vergebens. Einige der Männer hatten versucht, Eingeborenenfrauen zu umgarnen, jedoch ohne Erfolg. Die Wilden, die sich mit ihren Tauschwaren in der Nähe des von Weißen besiedelten Dorfs blicken ließen, waren fast ausnahmslos Männer, und wenn doch einmal Frauen dabei waren, blieben sie im Hintergrund und ließen sich außer einem neugierigen Lächeln nichts entlocken.
Irgendwer hatte berichtet, dass es bereits kriegerische Auseinandersetzungen mit den auf der Insel lebenden Eingeborenen gegeben hatte, von denen es, auf etliche Dörfer verteilt, wohl einige Tausend gab, doch mussten diese Konflikte eine Weile zurückliegen, denn niemand, mit dem Deirdre bisher darüber gesprochen hatte, hatte selbst erlebt, dass die Indianer die wenigen Siedlungen an der Westküste angegriffen hätten.
Die hier beheimateten Wilden waren kleine, braunhäutige Menschen von scheuem Wesen. Manche von Duncans Männern meinten, es seien Kariben, die in den Tiefen des Urwalds kannibalistischen Ritualen frönten, wogegen Miss Jane erklärt hatte, sie sei in der Zeit, die sie schon hier lebte, noch keinen Menschenfressern begegnet. Solange niemand versuche, den Indianern ihr Land wegzunehmen, würden sie friedlich bleiben. Bekriegt hätten sie nur die Spanier, und das sei gewiss schon hundert Jahre her.
Edmond hatte bislang keine Gelegenheit ausgelassen, mit den Eingeborenen zu reden, oder zumindest das zu tun, was dem nahekam– er versuchte, sich mit Händen und Füßen verständlich zu machen, und es schreckte ihn nicht im Geringsten ab, dass seine Bemühungen kaum von Erfolg gekrönt waren. Er war wild entschlossen, Gottes Wort auf der Insel zu verbreiten, und wenn es dafür nötig war, dass er die fremde Sprache erlernte, so würde er das tun.
» Stell dir vor, was ich gehört habe « , empfing er Deirdre, als sie mit dem Korb zu seiner Hütte kam. » Vor mir war schon ein anderer Priester hier auf der Insel! Der hat die Wilden in ihren Dörfern besucht und eine Art Glossar über den karibischen Dialekt zusammengestellt. «
» Was du nicht sagst. « Sie packte den Korb aus, richtete ihm auf einem mitgebrachten Brett das Essen an und reichte es ihm. Er bedankte sich und fing ohne Umschweife an, es zu verzehren. Sie sah, was für einen Hunger er hatte, und konnte kaum an sich halten, ihn nicht wegen seiner entsagungsvollen Zurückhaltung zu schelten. Die lange Zeit im Dschungel hatte ihn menschenscheu werden lassen. Während er in seinem Eifer, die Wilden näher kennenzulernen, jede Schüchternheit ablegte, ging er seinen weißen Zeitgenossen zumeist beharrlich aus dem Weg. Er mochte nicht einmal abends mit ihr und den anderen auf Miss Janes Veranda zusammensitzen, obwohl sie ihn schon mehrfach dazu eingeladen hatte.
Er hockte unter einem Schatten spendenden Baum, von dessen Ästen
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