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Wind der Gezeiten - Roman

Wind der Gezeiten - Roman

Titel: Wind der Gezeiten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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vor seinem vierzehnten Geburtstag gestorben war. Felicity und Anne, die ein Stück weit von den Männern entfernt beim Steuerhaus standen, weinten trostlos.
    John Evers war im Begriff, den Leichnam über die Reling zu hieven, als aufbrüllender Kanonendonner die Luft um sie herum zerriss. In einem Schauer explodierender Holzsplitter barst über ihren Köpfen der Fockmast, und mit einem vielstimmigen Aufschrei stoben alle an Deck auseinander. Duncan sah aus dem Augenwinkel, wie zwei der Männer stürzten und liegen blieben. Einem ragte ein gewaltiger Splitter aus dem Auge, er war tot. Der andere lebte noch, aber die Blutlache, die sich unter ihm ausbreitete, ließ keinen Zweifel daran, dass sein letztes Stündlein geschlagen hatte. Duncan rieb sich den Kopf, etwas hatte ihn dort erwischt, doch er war noch bei Sinnen, auch wenn ihm kurz schwarz vor Augen geworden war. Er brüllte Befehle, stieß die hilflos herumirrenden Frauen in Richtung Kajüte und rannte aufs Kommandodeck, um die Lage zu peilen.
    Das Schiff, von dem aus der Angriff erfolgt war, lag steuerbords, keine hundert Schritt entfernt. Es war eine holländische Fleute, mit gedrungenem, kräftigem Rumpf und flachen Aufbauten. Aus den Stückpforten ragten die schweren eisernen Geschütze, von deren Mündungen Qualm hochstieg und sich mit den treibenden Nebelschwaden vermischte.
    » Großsegel hissen! « , schrie Duncan, während er zu der achtern verankerten Drehbasse rannte, weil er von allen am nächsten dran war. » Leinen am Fockmast kappen! Backbordgeschütze klarmachen! « Mit fieberhaften Bewegungen versuchte er, die hintere Bordkanone zu laden, doch die Kugel rutschte ihm durch die Finger, und mit vagem Erstaunen sah er, dass sie mit Blut beschmiert war. Während er noch überlegte, wo zum Teufel das herkam, bemerkte er, dass es ihm aus dem Ärmel lief. Eines der umherfliegenden Trümmerstücke hatte ihn getroffen. Mit einem Mal spürte er den sengenden Schmerz in der Schulter, und auch der Kopf tat ihm plötzlich weh. Auch von dort kam Blut, wenn auch nicht so viel wie aus der Schulterwunde. Er versuchte, die Verletzungen zu ignorieren, doch in einer Mischung aus Erstaunen und Zorn gewahrte er, dass er in den Knien einknickte und alles sich um ihn drehte. Widerstrebend und nur um nicht hinzufallen, setzte er sich auf die Decksplanken, die bereits schlüpfrig von seinem Blut waren.
    » John! Hierher! Und bring eine verdammte Bandage mit! « Er wollte es schreien, doch seine Stimme klang erbärmlich schwach. Um ihn herum taten alle, was er ihnen befohlen hatte, und noch einiges mehr, denn unter Deck war die gebieterische Stimme des Geschützmeisters zu hören, und über ihm das Scharren und Flattern des schweren Flachstuchs am Großmast. Das Segel füllte sich zögernd. Duncan merkte, wie das Schiff sich in Bewegung setzte und aus der Gefahrenzone glitt.
    Er wollte Feuerbefehl geben, doch er brachte keinen Ton mehr heraus. Seine Sicht begann sich zu trüben.
    » Duncan? « Das war John. » Verflucht, Junge, du bist getroffen! Lass mich sehen! « Hände machten sich an ihm zu schaffen, betasteten seinen Kopf, seinen Arm. Hoch oben in seiner Schulter fühlte es sich an, als würde ihm ein glühender Schürhaken ins Fleisch gebohrt. Duncan wollte schreien, doch nicht einmal das bekam er hin. Stattdessen sank er in eine alles verschlingende Schwärze.
    Anne konnte kaum atmen vor Angst. Der Geschützdonner dicht unter ihren Füßen ließ sie vor Schreck aufschreien, es war so unerwartet gekommen, obwohl unmittelbar vorher ein gebrüllter Feuerbefehl an Deck ertönt war. Auch vom gegnerischen Schiff aus wurde wieder geschossen, und sie stieß einen weiteren Schrei aus, als sie das Krachen des Einschlags hörte. Es kam vom Bug her, doch es war immer noch nah genug, um Todesangst bei ihr wachzurufen. Die Elise war unter Segeln, sie fuhr dem Feind davon, tief hinein in den schützenden Nebel, doch war sie auch schnell genug? Beißend drang der Qualm der abgefeuerten Kanonen ins Innere der Kajüte, und nun sah sie, dass ein Loch in der Decke war– ein Stück der abgerissenen Fockmastspitze hatte sich durch die Planken gebohrt.
    Felicity saß seltsam teilnahmslos auf der Bank, sie blickte mit stumpfem Gesichtsausdruck vor sich hin, beide Arme um ihren Leib geschlungen, als wolle sie sich selbst trösten. Sie blickte nicht einmal auf, als die Tür aufflog und John hereingestolpert kam. Er schleifte Duncan mit sich, einen Arm über seine Schulter gezogen und ihn

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