Wind der Traumzeit (German Edition)
ewigen Argwohns, der zwischen den Bewohnern der östlichen Städte und Perth besteht.«
Nora schaute verwundert. »Ich dachte, nur zwischen Sydney und Melbourne bestünde Konkurrenz?«
Tom nickte. »Ja, schon. Aber Perth liegt etwa dreitausend Kilometer von diesen Metropolen entfernt. Geografisch betrachtet liegt es sogar näher an Singapur. Man hat sich im Laufe der Geschichte oft von der Politik im Stich gelassen gefühlt. Perth musste es irgendwie allein schaffen. Der Goldrausch brachte eine Menge Glücksritter mit sich, die Entdeckung von Bodenschätzen machte viele Leute reich und ließ die Stadt aufblühen. Heute sieht man höchst argwöhnisch auf die ›eastern staters‹, die Oststaatler. Diese wiederum bezeichnen die Bewohner von Perth als ›sandgropers‹, im Sand Umhertapsende. Ein Spitzname, der übrigens noch aus den Zeiten des Goldrausches stammt.« Tom hielt kurz inne.
Nora hatte interessiert zugehört. »O nein, warum denn das? Es ist doch toll, dass so weit weg von allen anderen Städten noch eine weitere am Indischen Ozean existiert.« Sie überlegte einen Moment. »Hm, aber in Deutschland gibt es so etwas auch zwischen Norden und Süden. Doch genau erklären kann ich’s nicht.«
»Hier könnte man schon fast sagen, dass diese Antipathie wie eine Tradition gepflegt wird. Sie gehört irgendwie zur Kultur. Jedenfalls ist Perth eine schöne Stadt, in der im Schnitt acht Stunden täglich die Sonne scheint. Außerdem ist es nicht so laut und hektisch wie in Sydney oder Melbourne. Der Kings Park ist einfach traumhaft. Ich freue mich schon darauf, euch alles zu zeigen. Meine Mutter hat nach Vaters Tod das Haus und die Praxis verkauft und sich eine hübsche Wohnung mit Blick auf den Indischen Ozean zugelegt. Wenn man auf der Terrasse sitzt, hört man die Brandung rauschen. Immer wenn ich da bin und auf die türkisfarbenen Wellen schaue, kann ich verstehen, dass sie dort nicht weg will.«
Nora schloss genießerisch die Augen. »Hm, das hört sich gut an. Ich liebe das Meer.«
Nach der Landung befiel sie jedoch eine nervöse Anspannung. Wann immer sie Tom über seine Mutter hatte reden hören, war ihr aufgefallen, wie sehr er an ihr zu hängen schien. Was, wenn diese sie nicht leiden konnte? Während Tom das Formular am Schalter der Autovermietung ausfüllte, hielt sie Sophie auf dem Arm und sah sich um. Marie stand neben Tom und schaute zu, wie er die Formalitäten abwickelte. Als alles erledigt war, reichteer ihr mit einem Lächeln die Autoschlüssel und schickte sie voraus, um den Wagen auf dem Parkplatz zu suchen. Er schob den Kofferwagen, auf dem sich drei Reisetaschen, zwei Handgepäckrucksäcke und Sophies Babyautositz stapelten. Mit gespieltem Entsetzen betrachtete er den Gepäckberg und grinste Nora an. »Man könnte meinen, wir wollten für immer hier bleiben.« Nora zuckte mit den Schultern. »So ist das nun mal mit Familie. Windeln, Gläschen, Trinkfläschchen, Sauger, Lätzchen und Kleckerwäsche, Spielzeug, Bücher und so weiter. Du wirst dich dran gewöhnen müssen.«
Tom lachte. »Es ist unglaublich faszinierend.« Er deutete auf Marie, die in der Ferne winkte. »Da! Marie hat unser Auto ausfindig gemacht.«
Perth war groß, sauber und modern. Angenehmes Mittelmeerklima empfing sie, und Nora atmete auf. Temperaturen um die zwanzig Grad Celsius ließen es zu, dass sie sich munter und unternehmungslustig fühlte. Ein strahlend blauer Himmel spiegelte sich in den hohen Wolkenkratzern. Tom fuhr einmal durch Perth und wies auf interessante Dinge hin. Die gepflegte Stadt am Swan River mit ihren Grünflächen beeindruckte Nora. Tom erklärte ihr, dass über eintausend Quadratkilometer Parks, Sportplätze und Naturschutzgebiete zum Stadtgebiet gehörten. »Du hast in Sydney studiert. Warum bist du eigentlich von hier weggegangen?«
Er zuckte mit den Schultern. »Ach, ich weiß es im Grunde auch nicht. Aber damals wollte ich unbedingt fort von hier. Von meinen Eltern und von Perth. Ich musste einfach mal was anderes kennen lernen, verstehst du? Mich abnabeln. Meine Eltern waren nicht sehr begeistert. Schließlich hätte ich ebenso gut hierstudieren und weiterhin bei ihnen wohnen können, was viel günstiger gewesen wäre. Aber dann haben sie nachgegeben und mich ziehen lassen. Immerhin waren sie sehr froh darüber, dass ich Medizin studieren wollte. Auch heute noch rechne ich es ihnen hoch an, dass sie mir diese Freiheit, fortgehen zu können, eingeräumt haben. Vielleicht ist das der Grund,
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