Wind der Traumzeit (German Edition)
verstört, und als er sie bat, noch bei ihm zu bleiben, bis er eingeschlafen war, griff sie nach einer Überdecke, die achtlos über einem Stuhl hing, wickelte sich darin ein und legte sich zu ihm. Lange lag sie wach und dachte über eine Lösung für ihre Familie nach. Sie konnte sich nicht einmal die Frage beantworten, ob sie ihren Mann noch liebte. Sie wusste jedoch, dass sie nicht mit jemandem zusammenleben wollte, vor dem sie Angst haben musste. All ihre Gedankengänge endeten an dem Punkt, dass sie sich Abstand wünschte. Sie wollte ihre Gefühle ordnen, um zur Ruhe zu kommen. Verzweifelt grübelte sie Stunde um Stunde. Verdammt! Dass aber auch Mum und Tom so weit entfernt lebten. Sie konnte nicht mal eben ins Auto springen, um sie zu sehen oder sie zu besuchen. Nicht einmal Toms Frau Nora hatte sie bislang kennen gelernt. Sam war es nicht möglich gewesen, sich freizunehmen, solange Hauptsaison war und viele Touristen Darwin besuchten.
Sie lächelte plötzlich. Ihr großer Bruder war inzwischen sogar Familienvater. Und sie hatte geglaubt, nach der Scheidung von Sarah werde er ewig nur mit seinem Job verheiratet bleiben. Mit einem Mal verspürte sie Sehnsucht danach, ihren Bruder zu sehen, mit ihm zu sprechen. Mit ihm hatte sie schließlich ihre Kindheit verbracht. Sie war neugierig darauf, seine Frau kennenzu lernen und auch die beiden kleinen Mädchen, Toms Leben musste sich inzwischen völlig verändert haben, Sie dachte nach. Josh war acht Jahre alt und ein guter Schüler. Vielleicht wäre seine Lehrerin ja damit einverstanden, ihn für eine Woche zu beurlauben. Caroline gefiel der Gedanke. Gleich morgen würde sie Mrs. Carson darum bitten. Nicht mehr ganz so niedergeschlagen wie zu Beginn ihrer Grübeleien schlief sie ein.
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N ach und nach gewöhnte sich auch Marie in Cameron Downs ein. Regelmäßig übte Nora weiterhin mit ihr Englisch, damit sie sich noch besser verständigen konnte. Ihre Sorge, dass ihre Tochter aufgrund der Sprachschwierigkeiten einen schweren Start haben würde, erwies sich als unbegründet. Innerhalb weniger Wochen lernte Marie das an Englisch, wofür Nora in Deutschland Jahre gebraucht hatte. Rasch freundete sie sich mit einigen Mädchen aus ihrer Klasse an und vergaß ihren anfänglichen Kummer und ihr Heimweh.
Nora machte sich nichts vor. Dass sie so überaus freundlich in der kleinen Stadt aufgenommen wurden, hatte mit Sicherheit nicht zuletzt mit Toms Stellung hier zu tun. Man schätzte und mochte ihn sehr, und so brachte man auch seiner Frau und den beiden Mädchen diese Sympathie entgegen, obwohl es nach ihrer Ankunft durchaus Getuschel gegeben hatte – über ihre Scheidung in Deutschland und die zwei Kinder von zwei Vätern. Wie immer bei diesen Gedanken musste Nora schlucken. Nie war es ihr gelungen, sich davon frei zu machen, was andere von ihr dachten, weder in Deutschland noch in Australien.
Nora ging von der Veranda in die Küche und sortierte nun die Schmutzwäsche vor der Waschmaschine. Als sie sich aufrichtete und nach dem Waschmittel greifen wollte, wurde ihr plötzlich schwindlig. Eine leichte Übelkeit stieg in ihr auf. Während sie sich mit den Händen auf dem Gerät abstützte und sekundenlang die Augen zusammenkniff, wurde ihr urplötzlich klar, dass sie wieder schwanger war. Ihr Herz klopfteheftig, und die Übelkeit nahm augenblicklich zu. Sie wandte sich um und rannte ins Bad, wo sie sich in die Toilette erbrach. Mit immer noch klopfendem Herzen lehnte sie sich anschließend gegen die Fliesen und versuchte sich zu beruhigen. Verdammt! Furcht ergriff sie, als sie an eine Schwangerschaft in dieser Hitze dachte, an mögliche Komplikationen und an eine weitere Entbindung. Warum nur hatte sie es darauf ankommen lassen?
Sie wusste nicht, wie lange sie so dagesessen hatte, als ihr Magen erneut rebellierte und sie sich wieder übergeben musste. Ihr körperliches Unwohlsein verstärkte unwillkürlich die Abneigung gegen eine erneute Schwangerschaft. Ihr viertes Kind! Sie musste doch nicht bei Trost gewesen sein, als sie Toms Schmeicheleien nachgegeben hatte. Sie griff nach einem Waschlappen, ließ kaltes Wasser darüber laufen und rieb sich das Gesicht ab. Anschließend nahm sie ihre Zahnbürste und schraubte die Zahnpasta auf. Aber allein der Geruch der Zahncreme ließ ein erneutes Würgen in ihr aufsteigen. Wieder kauerte sie über der Toilette und übergab sich.
Eine ganze Weile blieb sie danach vor der Toilette hocken. Sie wagte es nicht, sich zu rasch zu
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