Wind der Traumzeit (German Edition)
erheben. Der bittere Geschmack in ihrem Mund ließ sie sich elend fühlen. Spöttisch sah sie an sich hinunter. Wer sollte sich bloß um die Mädchen kümmern, wenn sie die nächsten Monate hier vor der Toilette verbringen müsste? Tränen stiegen ihr in die Augen, und sie ärgerte sich auch darüber maßlos. Diese verdammten Hormone würden sie wieder wehrlos allen Gefühlsschwankungen aussetzen.
Sie war so in ihre Überlegungen und Vorwürfe vertieft, dass sie die Haustür nicht hörte. Erschrocken fuhr sie zusammen, als Tom in der Tür stand. Einen Moment lang sah er sie besorgt an,doch innerhalb von Sekundenbruchteilen erfasste er die Situation, und ein in Noras Augen übertriebenes Strahlen erschien auf seinem Gesicht. Sie zog eine Grimasse.
Tom lachte leise und kniete sich neben sie, um sie in die Arme zu ziehen.
»Aber das ist ja wunderbar! Du kannst dir nicht vorstellen, wie glücklich ich bin.« Er nahm ihr Gesicht in beide Hände und sah ihr in die Augen. »Liebling, jetzt schau mich doch nicht so an. Wenn wir beide noch so etwas Süßes wie Marie oder Sophie bekommen … Herrgott, du weißt gar nicht, wie ich mich freue.« Nora war zu überwältigt von ihren eigenen Sorgen. Sie schob ihn von sich und schlug die Hände vors Gesicht. Zu unerwartet hatte sie die Wucht der Erkenntnis getroffen. Tränen liefen ihr über die Wangen. Ärgerlich stieß sie hervor: »Du musst es ja auch nicht bekommen!«
Tom war froh, dass sie ihn nicht ansah. Nur mit Mühe unterdrückte er ein Schmunzeln und stand auf. Geschäftig ließ er kaltes Wasser in ein Zahnputzglas laufen und reichte es ihr. »Komm, mein Herz, trink etwas, dann wird es dir gleich besser gehen. Ich koche uns heute auch etwas Schönes.«
Nora ließ sich von ihm aufhelfen und kämpfte erneute Übelkeit nieder. »Bloß nicht!«
Er biss sich gut gelaunt auf die Unterlippe und versuchte abzulenken. »Sind die Mädchen bei Lisa?«
Nora strich sich ein paar widerspenstige Haarsträhnen aus dem Gesicht und nickte. »Hm. Ich wollte ganz in Ruhe die Wäsche machen.«
»Soll ich die beiden abholen, während du dich ein wenig hinlegst?«
Nora spülte sich energisch den Mund aus und spuckte das Wasser ins Waschbecken. Ihre Blicke trafen sich im Spiegel, und sie nickte zustimmend. Sein zufriedenes Katergesicht ärgerte sie in dem Moment maßlos. Ohne ein weiteres Wort ging sie an ihm vorbei und schloss die Schlafzimmertür hinter sich. Innerlich aufgewühlt stand sie vor dem Kleiderschrank und suchte frische Sachen heraus. Sie hatte das Bedürfnis, ausgiebig zu duschen. Sie gab sich nicht dem Gedanken hin, dass erst ein Test die endgültige Gewissheit bringen würde. Jede ihrer Schwangerschaften hatte so begonnen.
Ein wenig wehmütig betrachtete sie die zarte seidene Spitzenunterwäsche, die sie noch in Hamburg gekauft hatte, und stellte resigniert fest, dass diese ihr nun nicht mehr lange passen würde. Sie gestattete sich einen letzten tiefen Seufzer, nahm ihre Sachen und ging ins Bad. Draußen sah sie Tom aus der Einfahrt fahren, während sie die Dusche anstellte. Sekunden später ließ sie sich das warme Wasser auf Kopf und Schultern prasseln und entspannte sich. Die Stimme ihrer Mutter klang ihr in den Ohren: »Wer A sagt, muss auch B sagen …« Sie lächelte unwillkürlich. Wie oft hatte sie sich als Teenager über diese Sprüche geärgert. Sie seifte sich ein und shampoonierte ihr Haar. Dann spülte sie alles ab und stieg aus der Dusche. Während sie sich abfrottierte, musterte sie kritisch ihren Körper. Wie würde sie nach einer weiteren Schwangerschaft aussehen? Sie wickelte sich in das Badetuch und föhnte ihr Haar. Als es in weichen Wellen glänzend ihr Gesicht umrahmte, öffnete sie die Tür des Badezimmerschränkchens und nahm ihre teuerste Creme heraus, um ihr Gesicht zu verwöhnen. Ein exklusiver Duft legte sich auf ihre zarte Haut, und sie betrachtete argwöhnisch die ersten Lachfältchen, die ihre Augen umgaben. War sie nicht viel zu alt für ein Baby? Als sie kurz darauf in die schimmernde kühle Seidenwäsche unddie frischen Sachen stieg, fühlte sie sich besser. In der Küche nahm sie sich einen großen trockenen Keks und schenkte sich ein Glas Mineralwasser ein. Dann ging sie in den Garten und setzte sich in einen der Sessel, die unter den Bäumen standen. Ihre erste Panik hatte sich gelegt, und doch war sie von wirklicher Begeisterung noch weit entfernt.
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C aroline legte den Hörer auf und trat ans Fenster. Gerade hatte sie ihren
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