Wind der Traumzeit (German Edition)
Tom, er macht mir Angst. Er trinkt zu viel. Er flippt manchmal völlig aus. Er ist sogar eifersüchtig auf meinen Job.«
Tom hörte aufmerksam zu. Eine winzige Alarmglocke in seinem Inneren hatte angefangen zu läuten. »Was meinst du mit ›Er flippt manchmal völlig aus‹? Er schlägt euch doch nicht, oder?« Caroline schwieg. Sie schämte sich plötzlich. Wie konnte sie ihrem Bruder die Situation erklären? Sie verstand sie ja selber kaum. Vielleicht sah sie nur Gespenster, wo keine waren. Sam würde sich bestimmt wieder beruhigen. Er war gebildet, sie war gebildet. Gemeinsam hatten sie einen wundervollen Sohn. Beide waren sie erfolgreich. Sie gehörten einfach nicht in das Milieu, in dem so etwas vorkommt.
Tom war durch ihr Schweigen noch unruhiger geworden. Er schlug mit der Hand auf den Tisch, sodass das Windlicht klirrte. »Los, Caroline, raus mit der Sprache. Hat er euch geschlagen?« Die Frage kam ihm selbst ungeheuerlich vor.
Caroline zuckte peinlich berührt mit den Schultern. »Nein, nicht wirklich. Er hat sehr viel Stress im Hotel... und wenn wir dann noch in Streit geraten, dann wird er damit nur schwer fertig.«
Tom starrte sie ungläubig an. »Was soll das denn heißen? Dass man, wenn man Stress im Beruf hat, das Recht hat, seine Familie zu vermöbeln?«
Caroline biss sich auf die Unterlippe. Sie hatte ganz vergessen, wie gnadenlos und hartnäckig ihr Bruder sein konnte, wenn ihm etwas gegen den Strich ging. »Das hat er ja nicht getan. Josh hat er sowieso noch nie angerührt.«
Tom schlug erneut auf den Tisch, und seine Schwester zuckte zusammen. »So. Dann ist ja alles in Ordnung, oder? Er schlägt also nur dich.«
Caroline griff nach seiner Hand. »Er hat mich nicht geschlagen, Tom. Aber er war ganz kurz davor.« Als sie an Sams erhobene Hand und sein wutentbranntes Gesicht zurückdachte, fühlte sie sich beklommen. Sie sprach leise weiter. »Er … er war so ärgerlich. Wir haben beide Dinge gesagt, die wir nicht hätten sagen dürfen. Er hatte getrunken und sich offensichtlich nicht mehr im Griff. Er hat mich in seiner Wut geschüttelt, und ich habe ein paar blaue Flecken davongetragen. Das ist alles.«
Tom starrte sie durchdringend an und sagte nichts.
Caroline wand sich unbehaglich. Vielleicht hätte sie doch besser geschwiegen. Aber dafür war es nun zu spät. Sie zog jetzt ihre Strickjacke von den Schultern, sodass Tom ihre Oberarme sehen konnte. Die Flecken hatten inzwischen die blaurote Farbe gewechselt und waren in gelbe Umrisse mit grauschwarzer Mitte übergegangen.
»Siehst du, sie verschwinden ja schon wieder. Wahrscheinlich mache ich mich verrückt. Sam hat sich später entschuldigt.« Sie hatte plötzlich nicht mehr den Mut, von ihrem erneuten Zusammenstoß im Flur zu berichten, der sie letztendlich zur Flucht bewegt hatte. Insgeheim hoffte sie darauf, dass ihr Bruder ihr Recht geben würde, und fügte hinzu: »Es wird bestimmt nie wieder vorkommen.«
Tom hatte im Licht der Gartenlampen die dunklen Flecken auf den Armen seiner Schwester gesehen, die deutlich verrieten, wo Sam sie gepackt hatte. Er biss die Zähne zusammen. Er war sich sicher, dass er seinen Schwager mehr als nur zur Rede gestellt hätte, wenn er hier gewesen wäre. Mit Schaudern stellte er sich die lautstarke Auseinandersetzung vor und fragte sich, wie viel Josh wohl davon mitbekommen hatte. Seine Stimme klang jedoch fest, als er entgegnete: »Caroline, du weißt genau, dass es nicht einfach wieder aufhören wird. Ich habe das oft genug erlebt. Es wird schlimmer. Die Frauen lassen sich im Krankenhaus zusammenflicken und glauben immer wieder an den friedlichen Neuanfang. Wenn er auch noch trinkt, ist es ganz aus. Willst du ein Leben in Angst vor seinen Ausbrüchen führen? Willst du das für Josh?«
Sie zog die Jacke wieder fest um sich und zuckte mit den Schultern. »Ich weiß im Moment nicht, was ich tun soll. Auf der einen Seite will ich ihn nicht verlieren, auf der anderen habe ich jetzt schon Angst vor ihm. Jedes Mal’, wenn er zum Servierwagen und zu den Flaschen geht, beobachte ich ihn ängstlich. Bevor ich den Mund aufmache, denke ich darüber nach, ob ich ihnwomöglich mit dem, was ich sagen will, provozieren könnte.« Sie strich sich die Haare hinters Ohr zurück und blickte traurig in die Kerzenflamme. »Dann wieder meine ich, mir meine Ängste und Sorgen nur einzubilden. Sicher gibt es bei allen Paaren so etwas wie unsichere Zeiten … Zeiten eben, in denen nicht alles hell und freundlich
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