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Wind der Traumzeit (German Edition)

Wind der Traumzeit (German Edition)

Titel: Wind der Traumzeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christin Busch
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nicht so weit auseinander lagen. In seiner Welt zu Hause wurden christliche Werte vermittelt, deren wichtigster sicherlich die Nächstenliebe war. Hier, auf der anderen Erdhalbkugel, erzählte ihm der alte Gelehrte eines uralten Volkes eine Geschichte, die eigentlich nichts anderes besagte.
    Marrindi stand auf. »Hat dir die Geschichte gefallen?« Niklas nickte. »Hm.«
    Marrindi legte eine Hand auf seine Schulter. »Es wird Zeit, dass wir zurückgehen. Deine Mutter wird sich schon fragen, wo du bleibst.«
    Gemeinsam machten sie sich auf den Weg zu den anderen. Nora sah sie als Erste. Immer wieder waren ihre Augen suchend zu der Stelle gewandert, an der die beiden auf dem Pfad zum Fluss hinunter verschwunden waren. Obwohl sie Unruhe verspürt hatte, war es ihr möglich gewesen, bei Wudima und einer jüngeren Frau namens Bindinie sitzen zu bleiben. Niklas war schließlich kein kleines Kind mehr, und Nora wusste, dass Marrindi bei ihm bleiben würde. Sie verbiss sich ihre Neugierde, über was die beiden wohl sprachen, und wünschte ihrem Sohn, dass er den alten Mann genauso faszinierend fand wie sie selbst. Das Baby in ihrem Bauch begann zu strampeln und machte ihr bewusst, wie lange sie schon in derselben unbequemen Haltung bei den beiden Frauen saß. Sie lächelte sie an und stand auf. Ein paar Schritte in der angenehmen Nachtluft täten ihr bestimmt gut. Außerdem wollte sie Niklas nicht das Gefühl geben, schon besorgt auf ihn gewartet zu haben. Deshalb schlenderte sie in die andere Richtung. Sie atmete tief durch. Was für ein schöner Abend. Sie mochte die Menschen hier und freute sich über die freundliche Nähe, die sie inzwischen zuließen. Wudima hatte ihr heute sogar etwas über die Herstellung der Naturfarben erzählt – eine Kunst, die üblicherweise geheim blieb. Nora hatte zum ersten Mal eine alte Farbenschale bewundern können, die aus einem großen ovalen und kunstvoll bearbeiteten Stein gefertigt worden war.
    Sie blieb unter dem Eukalyptusbaum stehen, unter dem sie vor mehr als zwei Monaten gesessen und die ersten Bewegungen ihres ungeborenen Kindes gespürt hatte. Sie legte eine Hand auf ihren Bauch und schaute zu der großen Baumkrone auf, die heute – in der Dunkelheit der Nacht – ganz anders aussah. Sie fühlte die Nähe zu ihrem Kind und schloss die Augen. In jeder ihrer Schwangerschaften hatte sie diese Momente bewusst genossen. Sie wollte sich diese Zeit auch für ihr viertes Kind nehmen, vielleicht gerade weil diese Schwangerschaft mit eher negativen Empfindungen begonnen hatte. Wieder hörte sie den Wind in den Blättern rauschen und fühlte sich auf seltsame Weise beruhigt und geborgen. Fast kam es ihr vor, als würde hier in der Siedlung ihre Sichtweise auf die alltäglichen Probleme irgendwie relativiert. Die Menschen, die hier lebten, sahen sich weniger als Zentrum der Welt, sondern einfach nur als einen Teil von ihr. Und wie konnte sich die Welt nur um einen kleinen Teil drehen? Nora schmunzelte plötzlich, als ihr eine Szene aus dem Film Crocodile Dundee einfiel, in der es um den Uluru ging und darum, ob der Felsen im Roten Herzen Australiens nun den Ureinwohnern oder den Weißen gehöre. Der Aborigine, dem diese Frage gestellt worden war, hatte grinsend erwidert, dass der Monolith so viele Millionen Jahre alt sei, dass eine solche Frage ähnlich lächerlich sei, wie wenn zwei Flöhe darum streiten würden, wem der Hund gehöre, auf dem sie lebten. Nora lächelte immer noch, als sie Schritte hörte. »Na, mein Großer? Alles in Ordnung?«
    Niklas kam auf sie zu. Er gähnte kurz und nickte dann. »Hm.« Sehr gesprächig war er nicht gerade. Früher hatte sein Mund kaum einmal still gestanden, und mehr als einmal war sie froh gewesen, wenn der kleine blonde Wirbelwind endlich im Bett verschwunden war und sie minutenlang nur die Stille im Haus hatte genießen können. Sie zog die Strickjacke enger um sich. »Was war denn mit dem Hund?«
    Niklas latschte mit seinen klobigen Turnschuhen neben ihr her. »Ach, der hatte einen kleinen Stein zwischen den Ballen. Ich hab ihn rausgeholt, und dann war alles in Ordnung. Das mache ich im Winter auch immer bei Kuno, wenn er zu lange im Schnee war, dann setzen sich manchmal so gefrorene Schneeklümpchen dazwischen fest.«
    Nora musterte ihn von der Seite. Stolz und mütterliche Zuneigung erfassten sie, und sie war froh über die Dunkelheit, denn Niklas hätte die Empfindungen, die sich auf ihrem Gesicht spiegelten, sicher nicht geschätzt. Sie sah

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