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Wind Der Zeiten

Wind Der Zeiten

Titel: Wind Der Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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Wand schmückten. Eine Menge grimmig blickender Männer hing da, aber auch einige Frauen. Und fast alle verband diese bemerkenswerte Familienähnlichkeit. Die viel zu blauen Augen nahm ich den unterschiedlichen Porträtisten ja noch ab, aber bei der Darstellung der blonden Mähnen, die zumindest alle Männer besaßen, hatten sie deutlich übertrieben. Die Pracht konnte unmöglich natürlich sein. Ich trat näher an ein Gemälde heran, auf dem offenbar der Mann abgebildet war, den mein verrückter Entführer
vorhin als Lachlan angesprochen hatte. Er kam mir ziemlich gut getroffen vor. Diese Rollenspieler schwammen anscheinend im Geld, sonst hätten sie für die Kulisse ihres Wochenendvergnügens kaum Porträts anfertigen und auf Leinwand ziehen lassen. Aber andererseits hatten sie ja sogar das gesamte Tal nach ihren Vorstellungen dekoriert. Dekadent.
    Ich stammte selbst aus einer wohlhabenden Familie und weiß der Himmel, meine idiotischen Cousins verschleuderten ihr Geld für teure Autos und Frauen, aber auf die Idee, ein ganzes Tal in die Vergangenheit zu versetzen, wären sie nie gekommen. Und wenn doch, dann wüsste es die ganze Welt, und Busladungen von Touristen würden täglich einfallen wie die Heuschrecken. So gesehen waren mir die Verrückten hier richtiggehend sympathisch.
    Mòrag gab einen ungeduldigen Laut von sich. Ich riss mich vom Anblick des Porträts los und folgte ihr. Sie führte mich den Gang entlang, durch die Tür am Ende hindurch und eine schmale Wendeltreppe hinauf. Hier war es stockfinster, und ich ertastete die Stufen mehr, als dass ich sie in dem flackernden Kerzenlicht sehen konnte. Durch die dünnen Sohlen meiner zu kleinen Slipper konnte ich deutlich feuchte Kälte spüren, und modriger Geruch stieg mir in die Nase, typisch für Gemäuer, die lange Zeit ungeheizt blieben oder überhaupt nie beheizt wurden. Nur selten wehte etwas Luft durch die schmalen Schlitze im Mauerwerk, die ich für Schießscharten hielt. Offensichtlich befanden wir uns jetzt in dem mittelalterlichen Turm, und mir schwante, was ich unter einem Abtritt zu verstehen hatte. Schon machte Mòrag halt und öffnete eine Tür. Ein Plumpsklo, ich hatte es befürchtet.
    Als ich den Riegel von innen schloss, wurde mir klar, dass ich immer noch nicht viel weiter war. Hinter mir befand sich
ein grob gezimmerter Holzkasten, in den ein kreisrundes Loch eingelassen war. Daneben stand ein Korb mit etwas Stroh und welken Blättern. Ich mochte mir gar nicht vorstellen, wie es wäre, müsste ich diese Toilette tatsächlich benutzen. Als ich den Holzdeckel, auf alles gefasst, anhob, konnte ich bis auf den Boden am Fuße des Turms blicken. Dort unten sah ich, hinter Gestrüpp vor den Blicken der Vorbeigehenden verborgen, eine Grube. Igitt. Sofort war klar, selbst mit einem Seil wäre die Flucht an dieser Stelle nicht möglich gewesen – das Loch war viel zu klein, als dass es mir gelungen wäre, mich hindurchzuquetschen. Abgesehen davon löste allein die Vorstellung tief unten in meinem Hals einen würgenden Krampf aus. Draußen rumorte das Dienstmädchen. Sie wurde offenbar nervös, weil ich so lange hier saß. Und das brachte mich auf eine Idee.
    »Mòrag?«
    Gedämpft hörte ich ein nervöses » Aye? «
    »Der Riegel geht nicht mehr auf.« Zum Beweis rüttelte ich ein paarmal heftig an der Tür. »Du musst jemanden finden, der mich hier rausholt.« Ich gab meiner Stimme einen weinerlichen Ton.
    Mòrag zerrte auf der anderen Seite. Vergeblich, denn ich stemmte beide Füße an den Rahmen und hielt den hölzernen Griff fest umklammert.
    Schließlich gab sie auf und versprach, Hilfe zu holen. Ihre Schritte entfernten sich eilig.
    Ich zählte leise bis zehn, legte den Riegel beiseite und huschte die Treppe hinunter. Lächelnd lief ich unter den Porträts entlang und versuchte den Gedanken zu verdrängen, die Ahnen der MacCoinnaichs beobachteten meine Flucht mit missbilligenden Blicken.

    An meinem vornehmen Gefängnis huschte ich eilig vorbei, sprang drei Stufen hinab und fand mich im Barockgebäude wieder. Auch hier war alles sehr authentisch. Eine breite Treppe führte in die Eingangshalle, die ich ja bereits kurz kennengelernt hatte. Die von hier aus nach oben führenden Stufen waren weit weniger prächtig geraten, aber immer noch aus Stein. Mir gegenüber lag ein monströser Kamin, der nicht aussah, als sei er jemals betrieben worden. Wahrscheinlich so ein Prunkstück, an das sich der Hausherr lehnen konnte, um damit seine Macht zu

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