Wind des Südens
uns besuchen, kannst du ja zu mir schicken.«
»Das ist nicht nötig«, gab er von oben herab zurück. »Ich komme auch ohne dich zurecht.«
Esme empfing Clive und seine Frau an der Tür und bat sie rasch herein, da es draußen immer noch heftig regnete.
»Was für ein scheußliches Wetter!«, rief sie aus. »Es hätte mich nicht gewundert, wenn Sie abgesagt hätten. Geben Sie mir Ihren Mantel, Mrs. Hillier.«
Der durchweichte Kapuzenmantel eignete sich offenbar ausgezeichnet für dieses Wetter, denn das Äußere der Besucherin hatte nicht durch den Regen gelitten. Esme musste einräumen, dass sie sogar erstaunlich gut aussah. Bis jetzt hatte sie angenommen, dass sein »kleines Frauchen«, wie er sie bezeichnete, dieser Beschreibung auch entsprach, also klein, rundlich und unscheinbar war. Doch weit gefehlt. Mrs. Hillier war zwar wirklich nicht sehr groß, doch das dunkle, im griechischen Stil aufgesteckte Haar mit dem blauen Band betonte ihre tiefblauen Augen und die helle Haut. Sie trug eine hellblaue Seidenjacke, aufgelockert durch eine weiße Georgetterüsche am Ausschnitt, und dazu einen passenden Rock mit einem kurzen, leicht gerafften Überrock.
Nicht unbedingt die neueste Mode, dachte Esme – während Mrs. Hillier sich für ihre Stiefel entschuldigte –, aber sehr kleidsam. Ja. Ausgesprochen hübsch.
»Sie brauchen sich doch nicht zu entschuldigen«, sagte sie. »Bei diesen schlammigen Straßen hat man doch keine andere Wahl. Ich hätte an Ihrer Stelle auch welche angezogen.«
Esme fand, dass ihr eigenes Kleid, das dunkelblau war und einen Stehkragen und eine schmale Taille hatte, gut zu dem hellblauen von Mrs. Hillier passte.
Clive nahm die nassen Mäntel und hängte sie zum Trocknen an die Tür, während Neville aus der Hotelbar gestürmt kam, um die Gäste zu begrüßen.
»Wie schön, dass Sie es einrichten konnten, Clive«, rief er aus. »Und wir sind begeistert, Sie endlich kennen zu lernen, Mrs. Hillier. Mein Gott, sie ist ja reizend, Clive. Wie konnten Sie sie vor uns geheim halten, Sie alter Schurke! Kommen Sie, kommen Sie. Mrs. Kassel sagt, heute gebe es nicht sehr viele Vorspeisen. Doch sie hat ein schönes Menü für uns geplant. Ein Glück, dass das Hotel kurz vor unserer Ankunft eröffnet wurde.«
Es herrschte eine angenehme Stimmung. Esme fand, dass Mrs. Hillier zwar ein wenig schüchtern, aber sehr charmant war. Clive redete ununterbrochen von seinem Laden, der bald fertig sein und ein großer Gewinn für die Stadt sein würde.
»Dasselbe gilt natürlich für Apollo Properties, aber ich bin der Erste. Apollo wird mit mir Schritt halten müssen.«
»Wir können von Ihnen lernen, Clive. Sie sind ein Mann mit Erfahrung.«
»Was genau will Apollo Properties denn bauen?«, fragte Mrs. Hillier, worauf Clive ihr sofort ins Wort fiel. »Ich hatte noch keine Zeit, es meiner Frau zu erklären. Aber Neville erzählt dir sicher alles, Schatz.«
»Mit Vergnügen.« Während die beiden Männer begeistert von der Firma – der nicht existenten Firma, wie Esme dachte – berichteten, verzog Clives Frau besorgt das Gesicht, saß da und zwang sich zu einem interessierten Lächeln.
Als man sich an Schweinebraten mit viel Kruste und Mrs. Kassels Bratkartoffeln, die Neville so gern mochte, gütlich tat, kam das Gespräch irgendwann auf die China Belle . Mrs. Hillier blickte erstaunt auf.
»Oh. Waren Sie etwa auf diesen Schiff? Ach, Sie Armen. Das wusste ich gar nicht. Es muss schrecklich gewesen sein.«
»Das war es«, erwiderte Neville. »Esme hat es am schlimmsten getroffen, abgesehen natürlich von der bedauernswerten …«
»Haben Sie eigentlich von Lyle gehört, Neville?«, unterbrach Clive.
»Das haben wir in der Tat. Wir sind zur Zeremonie in Brisbane eingeladen«, meinte er mit einem liebevollen Lächeln an seine Frau, die es wortlos erwiderte. Sie hörte das zum ersten Mal.
»Was für eine Zeremonie ist das denn?«, erkundigte sich Mrs. Hillier.
»Unser Freund Lyle soll zum Ritter geschlagen werden«, antwortete Neville. »Erheben Sie sich, Ritter – oder heißt es Sir Lyle? Jedenfalls fahren wir in ein paar Tagen nach Brisbane, um an diesem großen Tag
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