Wind des Südens
geweint; die Wut der Besucherinnen auf Lyle war ungebrochen.
»Sie müssen Sie da rausholen«, verlangte Eleanor von Raymond.
»Wie soll ich das anstellen? Sie wird dort medizinisch behandelt. Die Ärzte wollen sie nicht entlassen. Wo soll ich zwei andere Mediziner hernehmen, die deren Diagnose in Frage stellen? Ärzte widersprechen einander nämlich nie, das verstößt gegen ihre Standesehre.«
»Schmuggeln Sie sie raus«, witzelte Mal, und Lavinia lachte auf.
»Endlich mal ein konkreter Vorschlag. Hat jemand eine bessere Idee?«
»Ja. Wir marschieren alle zusammen bei Lyle auf.« Eleanor meinte das ernst. »Auch Sie, Lavinia. Und dann fordern wir Constances Freilassung. Auf diese Methode haben wir auch die Besuchserlaubnis bekommen. Wir müssen ihn öffentlich bloßstellen.«
»Mit solchen Methoden möchte ich nichts zu tun haben«, protestierte Raymond. »Das kommt überhaupt nicht in Frage.«
Mal hatte Spaß an dem Streit. »Wir brauchen ihn ja nicht gleich an die Wand zu stellen. Vielleicht genügt es ja, ihm die Finger zu brechen.«
»Bitte lassen Sie die Scherze«, tadelte Eleanor.
»Einverstanden. Sagten Sie nicht vorhin, einer der Gründe, warum sie dort bleiben möchte – und das leuchtet mir mehr ein als die Aussage, es gefiele ihr in der Irrenanstalt –, ist, dass sie nicht zu Lyle zurück will?«
»Das stimmt. Er schämt sich ihretwegen und lässt es sie angeblich spüren.«
»Angeblich?«, mischte sich Esme ein. »Er hat sie weggesperrt; das ist doch ziemlich eindeutig.«
»Zur Behandlung«, sagte Raymond. »Zur Behandlung. Das sagt er zumindest.«
»Welchen Sinn hat es, ihn zu zwingen, ihre Entlassung anzuordnen, wenn sie sich entschlossen hat, nicht zu ihm zurückzukehren?«, wandte Mal ein. »Das wird ihm noch peinlicher sein, und wo soll sie dann hin? Vor den Zwischenfällen auf der China Belle hat Constance nie einen Fuß auf dieses Land gesetzt. Außer uns kennt sie niemanden.«
»Sie kann hier wohnen«, erwiderte Lavinia. »Sie ist bei uns willkommen, solange sie möchte.«
»Sie könnte uns auch nach Cairns begleiten«, fügte Eleanor hinzu.
Am nächsten Tag ließ Mal sich auf die Besucherliste setzen, und zwar dank Esme, die eine geschickte Fälschung von Lyles Schreiben an die Oberschwester von St. Clement’s anfertigte. Danach stattete er Constance jeden Tag einen Besuch ab.
Anfangs ging er mit Eleanor und Esme hin. Die hohen Mauern und die vergitterten Fenster hatten eine bedrückende Wirkung auf ihn, doch er kämpfte gegen das beklemmende Gefühl an.
Da es Constance unangenehm war, dass er sie in ihrem Zustand sah, wandte sie sich beim ersten Mal von ihm ab. Doch er nahm sie trotzdem in die Arme und küsste sie auf die Stirn. »Sie sehen reizend aus wie eh und je, Constance«, verkündete er. »Aber sie war ja schon immer eine Schönheit, richtig, meine Damen?«
Sie unternahmen mit ihr Spaziergänge auf dem Gelände und plauderten mit ihr über das ausgesprochen komische Theaterstück, das Picknick, das Eleanor veranstalten wollte, und die Vorzüge von Brisbane. Dabei ließen sie listige Bemerkungen über Raymonds wundervolles Haus einfließen und erwähnten, Lavinia würde sie dort gern eine Weile als Gast begrüßen. Doch Constance schien das nicht zu interessieren.
Als sie sich einmal über das Essen beklagte, gab Eleanor sofort zurück, es würde sie ja niemand zwingen, hier zu bleiben.
»Aber ich muss«, antwortete Constance. »Sie verstehen das einfach nicht. Ich muss. Ich wünschte, Sie würden das begreifen.«
»Das versuchen wir ja, meine Liebe. Die Sache ist nur, dass ein reizendes Mädchen wie Sie nach draußen in die Welt gehört.«
Bei diesen Worten verstummte Constance und sagte eine Weile kein Wort mehr. Dann jedoch erkundigte sie sich unvermittelt nach Raymond.
»Wo ist er? Ich bin enttäuscht von Raymond. Er hat mich in Stich gelassen.«
»Wie das?«, erkundigte sich Mal.
»Er hat mir versprochen, Jake Tussup zu mir zu bringen. Ich muss Jake Tussup sehen.«
»Was will Constance nur von Tussup?« Sofort nach
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